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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Welt gefahren, ohne es zu merken. Ich war es einfach müde.
    Sie nahm meine Hände, obwohl sie meinen Widerwillen fühlen musste.
    »Frederick, erinnerst du dich an mein Gebet im Wald, als Kieran dem Tod so nah war?«, begann sie ohne Umschweife. Ich nickte. Wie konnte ich auch nicht, es verfolgte mich wie eine halbverhungerte Dirne.
    »Also … ich … bete oft zur Göttin des Mondes. Sie hilft mir, sie wirkt Wunder. Ich … habe sie um sein Leben angefleht.« Ich blinzelte einmal. »Doch sie tut nichts einfach so. Für niemanden. Daher musste ich ihr etwas geben. Ein Versprechen.« Ich blinzelte erneut. Mit einem Mal röteten sich ihre Augen und Tränen quollen hervor. In diesem Moment lag mir nichts ferner, als Mitleid mit ihr zu haben.
    »Ich musste versprechen, nichts zu sagen, aber nun … du musst verstehen …« Ihre Stimme bebte und sie beugte sich nach vorn in meinen Schoß und flennte in meine Hände.
    Mein Blick wanderte ratlos über ihr lockiges Haar, dunkel und einsam wie die Nacht, und ihre zuckenden Schultern. Ich hatte noch immer keine Ahnung. Sie musste schon etwas präziser werden, denn ich traute meinen aufkeimenden Gedanken ebenso wenig wie ihren Worten. Dennoch spürte ich, dass sie gleich mit der Wahrheit herausrücken würde.
    »Ich liebe ihn so, sonst hätte ich das niemals zugelassen!«
    »Was? Was zugelassen?«, fragte ich nun ungeduldig. Die dunkle Vorahnung waberte erneut in mir empor und fraß sich diesmal gierig an die Oberfläche.
    »Giniver!«, heulte sie. »Sie zeigte mir Sandfords Mordplan und ich gab ihr mein Schweigen als Pfand. Dass ich nichts tun würde, um seine Tat zu verhindern. Die Göttin wollte eine Seele für die Rettung meines Mannes! Was hätte ich tun sollen? Und wir waren doch nie so …«
    Sie stutzte.
    So nahe. So befreundet. So seelenverwandt. Nie, so wie ich.
    Vorsichtig, doch entschlossen, entzog ich ihr meine Finger. Ich empfand weder Mitleid mit ihr, noch Vergebung, und spuckte in Gedanken auf ihr Geständnis. Es war mir einerlei, ob sie blieb, ob sie ging, ob ihre Kutsche in die ungnädigen Hände von Räubern und Vergewaltigern oder Menschenfressern fiel. Sie waren mir alle einerlei. Denn diese Frau hier war nur ein Abklatsch der selbstsüchtigen, giftmischenden Mutter, die sie uns immer hatte vorgaukeln wollen. Keinen Deut besser als die Lügner in den Zirkuszelten oder besser als alle Menschen, wie ich stets angenommen hatte; oder gar selbstbewusster als meine Herrin und ohne diese erstaunlichen Rachegelüste, wie ich bis zuletzt hoffte. Ich wandte das Gesicht ab.
    »Ich habe geschwiegen, als Lord Sandford unsere Giniver in seinem Raum auf Gut Waldeck gefangen hielt und sie vor unserer Abfahrt erschlug«, weinte sie. Mein Herz blieb kurz stehen. »Ich musste! Kieran wäre sonst gestorben! Sie wollte es so!« Ihre Stimme überschlug sich. »Bitte, Frederick! Sieh mich doch an!«
    Ich hatte genug. Genug von ihrem egoistischen Pakt, von meiner Kurzsichtigkeit, die der Ahnung in mir die Chance gegeben hatte, emporzusteigen. Ruckartig stand ich auf, wollte nur raus aus diesem Irrsinn, weg von dieser Harpyie in Feengestalt. Sie hielt mich zurück - ihr Fehler! Ich wandte mich zu ihr um, stieß sie grob von mir und sah zu ihr hinab, als sie langsam mit den zittrigen Fingern vor dem tränenverschmierten Gesicht in die Polster sank.
    »Ihr Leben gegen seines also! Was willst du? Dass ich dir vergebe etwa?! Es ist gut, dass ihr von hier verschwindet. Vielleicht finden wir dann endlich alle ein wenig Ruhe.«
    Damit verließ ich den Raum und ließ sie mit ihren, wahrscheinlich eher kurzfristigen, Schuldgefühlen zurück.

    Vergebung ist nicht meine Aufgabe, ebenso wenig wie die jedes anderen Menschen. Als die ersten beiden Kutschen das Anwesen verließen, stand ich hoch oben hinter dem Fenster in meinem Zimmer und blickte ihnen hinterher. Das dritte Gefährt wartete noch auf seinen letzten Fahrgast. Sie stand mit wehendem Mantel inmitten hauchfeiner Schneeflocken und starrte zu mir hinauf.
    »Du kannst jederzeit zu uns kommen, Frederick!«, rief sie meiner Silhouette hinter dem dunklen Fenster zu.
    Ich war nicht bereit, mit ihr zu sprechen, würde es auch nie wieder sein können. Ich wollte einfach, dass sie verschwanden. Kieran saß bereits in der Kutsche. Er hatte sich nicht einmal von mir verabschiedet.
    »Frederick, bitte sag etwas!«
    Aber natürlich, wie es der Dame genehm ist? Kalt blickte ich zu ihr hinab.
    »Eines Tages werde ich dir vielleicht vergeben. Aber
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