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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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verwandelt, in Schatten jenseits von Wäldern und Ozean. Meine Liebe – denn ich habe jetzt erkannt, dass sie es war, meine stille Freundin – lediglich ein letzter Hauch von Wärme, irgendwo in meinem gläsernen Herzen.
    Zwischen Mittel- und Ringfinger lasse ich den brieflichen Hilferuf des Grafen über der Kerzenflamme schweben. Ein Geschreibsel, sicherlich ebenfalls voller Lügen und Täuschungen. Vielleicht nicht absichtlich, vielleicht aber auch durchaus … Ich will es nicht mehr erfahren. Ich wende mein Gesicht ab von dem stinkenden Papier, das sich in meiner Hand zu einem graubraunen Röllchen Lüge verwandelt; zu dem, was es schlussendlich immer war.
    An ihrem Grab war ich nach ihrer Beisetzung noch viele Male. Irgendwann jedoch leistete ich ihr nicht mehr Gesellschaft, konnte es nicht, denn es hätte sie geschmerzt, wie abgemagert und verwahrlost ich geworden bin. Lediglich mein Haar frisiere ich, wenn ich daran denke, und meine …
    Zu meiner Linken bequem erreichbar: das Opium. Ich drehe mich mit viel zu hohem Kraftaufwand von einer Seite auf die andere, ergehe mich im Rausch der Musik, die aus dem Untergeschoss zu mir herauf schwebt. Jemand hat mir furztrockenen Kuchen mitgebracht, ich brauche heute also nicht einmal nach unten zu steigen. Später vielleicht doch, wenn ich pissen muss. Ich richte meinen verspannten Körper auf, ich muss noch etwas vorbereiten. Ich schreie nach Daphné, einer Hure aus der Stadt, die auf den Akzent am Ende ihres Namens besteht, bücke mich, um den Spiegel mit dem dicken, barocken Rahmen aus seiner staubigen Ecke zu zerren. Sein Lack glänzt noch immer in der untergehenden Sonne. Er ist so schön! Direkt vor meinem Lager macht er sich am besten. Ich begutachte mein Werk stolz. Dann bereite ich dreizehn Absinthe vor, langsam und penibel, denn meine Finger zittern wie wahnsinnig. Aber es gelingt und ich bin zufrieden, das erste Mal seit zu langer Zeit. Ich fluche laut und brülle noch einmal nach Daphné, die sich Zeit lässt, wie immer. Sie will mich ärgern, allerdings weiß sie, dass sie das später für gewöhnlich bereuen wird. Sie soll einen jungen Mann mitbringen, dessen Namen ich immer wieder vergesse. Sie brüllt zurück, dass sie gleich bei mir ist, falls ich ihr gestatte, die Treppe auch zuerst einmal zu erklimmen. Dieses zynische, verbrauchte Frauenzimmer! Ich beschließe, meine Aufzeichnung noch ein wenig zu bearbeiten, gelange irgendwie zu dem alten Schminktisch. Dort liegt ein mit Seidenbändern gebundenes Bündel Papiere; mein Vermächtnis an eine sittlich verrohende Menschheit jenseits jeglicher Moral.
    Plötzlich legen sich drei Paar Hände um meine Brust. Sie haben noch jemanden mitgebracht. Oder wollen sie mich schlussendlich doch arretieren? Wegsperren, hoffentlich? Es ist mir gleich. Sie heben mich sanft zurück auf die Chaiselongue. Wir teilen uns das Opium oder was auch immer sie wieder dort hineingetan haben. LaCroax, der Halbire aus der Bretagne (eine nicht nur nahezu unmögliche Kombination, sondern auch ein blasphemisches Resultat von ungezügelter Lust des einfacheren Volkes) bot mir vor einiger Zeit einmal Ololiuqui an, das aus Mittelamerika stammen soll. Ein hervorragendes Kraut, nach dessen Genuss man für die kommenden drei Tage seine Ruhe hat vor der Welt. Meist jedoch zupfen wir etwas von der Engelstrompete im Garten ab. Wer, beim haarigen Boggart ist noch mal LaCroax? Egal, seine Droge nebelt mich ein und ich spüre nur mehr einen Hauch der Spielchen, die Daphné und die anderen auf meinem Körper veranstalten. Ein Händepaar zerrt mir das ohnehin in Fetzen hängende Hemd vollends auseinander, meine Brust wird von vielen Mündern geküsst, gebissen, Zungen lecken über meine Haut. Sie können tun, was sie wollen. Ein scharfer Biss bringt mich ansatzweise in die verdammte Wirklichkeit zurück, oder was wir dafür halten. Ich schrecke hoch, als mich ein besonders scharfer Zahn kratzt, werfe dabei mit einer Bewegung meines Armes einen Körper zu Boden, der gackernd dort liegen bleibt. Ich versuche, den Spiegel zu drehen und mein Ebenbild darin zu finden, in dem ich nie wieder Ginivers Gesicht gesehen habe, so oft ich auch danach Ausschau hielt.
    Ich sehe mich, wie ein dünner, blasser Mann und eine gelb gelockte Frau, Daphné, sich um mich bemühen, sehe die dampfende Opiumpfeife in meiner Hand, lasse sie fallen. Ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen, ertaste ich das erste Glas Absinth. Fünf weitere Hände folgen den meinen gierig, und als
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