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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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mit ihm wie mit dem vermaledeiten Lord Sandford zu verfahren – nur ohne den gnädigen erlösenden Schnitt. Ich wollte ihn leiden lassen … sie alle! Waren denn alle Menschen auf dieser Welt Psychopathen? Ich beugte mich nach vorne, stieß ihn hart zur Seite. »Lass mich sehen!«
    Plötzlich stürmten die Servants von Gut Waldeck hervor, stießen mich fort, noch ehe ich meiner Herrin wenigstens bei ihrem letzten Atemzug nahe sein konnte, rissen sie hoch und schleppten sie auf den Rasen. Ich begriff nur langsam und folgte ihnen erst nach draußen, als ich der letzte Mensch im Pavillon war und mich inmitten leerer Gläser und zertretener Blumen wieder fand, die mehr als deutlich die Leere und Zerstörungswut in den Menschen darstellte.
    Was mir der frische Schnee zuerst als reinigenden Neuanfang vorzugaukeln versucht hatte, entpuppte sich nun als das Konzentrat von Grausamkeit und Seelenkälte, einer Ära des Todes und des Schmerzes. Unter der Atropa Belladonna ließen sie ihr blutbesudeltes Päckchen aus violetten Stoffresten zu Boden gleiten, aus dem noch immer ein paar dünne Rauchfäden emporstiegen.
    Eirwyn trat vor, betrachtete ihre Mutter lange und riss ihr mit einem Ruck den Schleier von den seltsamen, halboffenen Augen. Ein wenig abseits schürten die Servants gekonnt ein offenes Feuer, das schnell aufloderte. Eirwyn warf den Schleier in die Flammen, wo er sich sogleich zusammenzog, wie die feiste Spinne einst auf den Fingern der Lady. Sie nahm das gerötete Gesicht in die Hände und versenkte ihre blauen Augen in die rote nahezu tote Iris. Zärtlich strich sie der kaum noch atmenden Frau eine platinblonde Strähne von der Wange, legte ihre Lippen leicht auf die ihren.
    »Sieh dich nur an, Mutter. Eine Greisin im Körper einer jungen Frau. Was wolltest du denn? Unsterblichkeit etwa? Wie kann man nur etwas so Ödes wollen.«
    Die Lady verzog die Lippen. Ihre Antwort war kaum verständlich, mehr ein Aushauchen der letzten Geister.
    »… wollte nur in Frieden leben … mit meinem Mann. Aber das war seit deiner Geburt ja nicht mehr möglich. Du hast mir jedes Glück genommen, das ich zuvor erleben durfte.«
    Eirwyn musterte sie mit gespieltem Mitleid. Ich verachtete sie plötzlich so sehr. Doch auf einmal wurden die Worte meiner Herrin sehr deutlich. Sie hob ein wenig den Kopf und ich hörte, wie sie sagte: »Mögest du selbst eine Familie gründen, genau, wie ich sie hatte. Und mögest du lange, lange leben.« Meiner Herrin fielen die Augen zu, wie die einer Schläfrigen.
    Eirwyn ließ ihren Kopf los, erhob sich und verzog die Lippen zu einem unsicheren Lächeln. »Was kann ich schon dazu, dass ich so viel liebenswerter bin, als du es je warst!«, kreischte sie hysterisch. Sie atmete heftig und hob die Hand, um einen Servant heranzuwinken. Der schlaffe Körper wurde zum Feuer getragen, traf auf die Glut und fing irgendwann Feuer. Es ist so schwer, einen menschlichen Körper zu verbrennen – nahezu unmöglich mit all den Körperflüssigkeiten, die ihn am Leben erhalten.
    Mit den auflodernden Flammen, die sich auf meiner Netzhaut einbrannten, erkannte ich, dass ich vor gar nicht allzu langer Zeit in eine Parallelwelt abgetaucht sein musste, in der ich eigenhändig Frauenschlächter abschlachtete, meine Seelenverwandte zur grotesken Puppe werden sollte, mein einziger Freund stoischer Beobachter bizarrer Geschehnisse war, und in der die sanftmütige Grafentochter ihre eigene Mutter auf grausamste Art zu Tode tanzen ließ. Verklärt stierte ich in die Flammen und ließ mich mesmerisieren. Ich wollte einfach vergessen. Inmitten der feurigen Zungen loderte der verrenkte Körper meiner schönen Herrin und ich hatte nicht einmal mehr die Kraft zu weinen, zu schreien oder gar endlich in Ohnmacht zu fallen. Jemand berührte sanft meine Schläfe. Doch es fühlte sich eher an wie ein giftiger Dorn, der in meiner Haut versank.
    »Nun sind wir frei, mein lieber Frederick. Kannst du es fühlen?«
    Die neue Eirwyn breitete ihre Arme weit aus und lächelte lieblich wie nie, während sie den schwelenden Überresten ihrer Mutter den Rücken zuwandte. Ich schüttelte ruckartig den Kopf. Sie legte eine Handfläche auf meine Wange. Die Streicheleinheit eines Pestkranken wäre mir angenehmer gewesen.
    »Wenn das Feuer ausgebrannt ist, verteile ich ihre Asche im Wilden Wald, zu all den Flüchen und unsteten Geistern, wo sie hingehört«, wisperte sie mir zu und ich fragte mich, wann genau sie ihren Verstand verloren und nicht
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