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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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riet, meiner Herrin zur Seite zu stehen, auch ohne, dass sie mich dazu aufforderte. Einzig der Gedanke, dass mich beide Damen genau dafür ewig hassen würden, ließ mich wie angekettet dastehen und den Blick senken.
    »Das ist jetzt vorbei«, hörte ich Eirwyn wispern.
    Dann hob sie die Stimme, dass alle Beteiligten sie hören konnten. »Was wäre wohl die gerechte Strafe für eine solch widerwärtige Person?«
    Lady Amaranth blieb starr, mit stolz gerecktem Kinn und hielt dem Blick ihrer Tochter eisern stand. Jedoch, sie schwieg. Wie auch alle Anwesenden. Die Stimmung war sogar auf Ginivers Beerdigung entspannter gewesen. Unmittelbar verzog die Braut die schönen Lippen zu einem so scheußlichen Lächeln, dass ich mich in jenem Augenblick mehr vor ihr fürchtete, als vor dem Zorn meiner Herrin; mehr als davor, eine Nacht in einem eiskalten Kellerraum verbringen zu müssen, wenn die Kutsche zu spät eintraf, oder mit dem Schürhaken geschlagen zu werden. Alles davon hatte ich natürlich stets verdient, sonst hätte sie es wohl nicht mit mir getan. Dennoch existierte nicht nur eine Art der Grausamkeit unter den Menschen. Und diese hier ängstigte mich entgegen allem, was ich in meinem Leben erlebt hatte, zu Tode.
    So plötzlich, dass ich es kaum mehr als angedeutet mitbekam, entriss sie der Lady die schrecklichen Stilettos und reichte sie einem ihrer Servants.
    »Stell die Schuhe ins Feuer, bitte.«
    Sie blickte ihrer Mutter offen ins Gesicht. »Auch du solltest heute noch zum Tanz geleitet werden, Mutter.«
    ♠

    Das Spiel war verloren. Ein Spiel, gesponnen aus Intrigen, Lügen und Falschheit, aus dem schon lange niemand mehr einen anderen Ausweg gefunden hatte, außer purer Gewalt und dem Fortnehmen von Leben. Gewinner gab es keine.
    Gespenstisch waberte die langsame Tanzmusik durch den Pavillon, in dessen Zentrum eine gemarterte Frau aus Leibeskräften ihr Leben hinausbrüllte. Sie hatten ihr ihren eigenen Tod aufgezwungen und auch die Magie wollte ihr keine Chance geben, sich selbst zu retten, wie es schien. Der Mob war stärker als alle alten Riten unserer Vorfahren.
    Ein ekelerregender Geruch nach verkohltem Fleisch, kochendem Blut und gequältem Schweiß tränkte die Luft, sodass ich mir die Seele aus dem Leib würgte, vor lauter Tränen jedoch keinen Fingerbreit sah, wohin ich die Reste meines Banketts beförderte.
    Schaulustig säumte die sensationslüsterne Menge von Grafen, Lords und Ladys die Tanzfläche, welche von Blutspritzern und verkohlten Hautfetzen auf ewig entstellt sein sollte. Kein Schrubben und Wischen sollte jemals wieder diese Spuren oberflächlich beseitigen und seinen rachsüchtigen Geist von hier vertreiben. Die feinen Herrschaften hatten einen Ring um sie gebildet und bedeckten ihre Näschen mit Spitzentüchern, um den üblen Gestank ihrer Haut, auf der große wässrige Blasen erschienen, nicht einatmen zu müssen. Die Bediensteten würgten zwar ab und an, jedoch ohne meinem entwürdigenden Beispiel zu folgen. Einige Damen klammerten sich panisch mit nur zum Teil abgewandten Gesichtern an ihre neugierigen Gecken, begafften jedoch fasziniert immer wieder die Folterdarbietung in ihrer hochwohlgeborenen Mitte.
    Der Todestanz dauerte viel zu lange. Runde um Runde musste sich meine geschätzte Herrin in den glühenden Eisenschuhen zu den heiteren Takten des Streichorchesters drehen, sich verbeugen. Sie wurde wieder und wieder von den stoisch blickenden Servants auf die Beine gezogen und aufgerichtet, wenn sie zu Boden ging. Der Graf war indes verschwunden. Duncan hatte ihn wohl eilig fortgeschoben und ich hatte sie aus ersichtlichen Gründen aus den Augen verloren. Ungläubig kreuzte mein verschwommener Blick den der deutschen Diener, deren Gleichgültigkeit bereits offener Belustigung gewichen war. Sie zeigten mit den Fingern auf Lady Amaranth, kicherten hinter vorgehaltenen Händen. Schlecht verhohlenes Gelächter sickerte immer wieder durch die Violinenklänge hindurch. Alle hier schienen völlig neben sich zu stehen wie in einem Theater, in dem man den Menschen das Leben und die dazugehörige Bürde vorgaukelt und es ins Lächerliche zieht. Durch gespreizte Finger und dünne Tücher verfolgte man genauestens den grotesken Todestanz von Lady Georgina Amaranth. Irgendwann jedoch schrie meine Lady nicht mehr, blickte mit blinden, glasigen Augen gen Himmel. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, die dünnen Arme mit den krampfhaft gespreizten Fingern zu beiden Seiten gereckt, wie verdrehte
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