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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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stand. Sie betrachtete sich kritisch im Spiegel. Gleich einer Nymphe wiegte sie sacht hin und her, um ihre Beweglichkeit zu erproben. Wie violette Blätter umfasste die Seide ihren so unwirklich jungen Körper und ließ ihn noch fremdartiger erscheinen. Die Bluse ging beinahe nahtlos in den bodenlangen Rock über, der sich wie ihre eigene Haut um ihre Hüften und das kleine, runde Gesäß schmiegte. An den Knien schwang der Stoff jedoch auseinander, um sich auf dem Boden wie eine Lache aus eigenartigem Blut um sie herum auszubreiten. Ich schob ihre Arme in atemberaubende Schmuckreifen und schloss die silbernen Verschlüsse. So traten wir also keinen Augenblick zu früh durch den feuchten Wind hinaus in den geschmückten Garten. Als ich mich mit Lady Amaranth am Arm leicht verspätet zu den anderen Hochzeitsgästen begab, sorgte außer unserer punktgenauen Ankunft auch ihre Aufmachung zuerst für erstauntes Schweigen, dann für empörtes Schnauben. Von mehr als nur einem Hochzeitsgast, darunter unsere Schneiderin Madame Oonagh von Seamither’s aus der Stadt als auch, im wahrsten Sinne des Wortes, alten, sehr alten, Freunden der Familie Waldeck und dessen verwöhnte, leidlich erwachsene, Bälger, hörte ich gemurmelte Entrüstung. Denn in einem Kleid zu erscheinen, aufwendiger und pompöser als das der Braut, war eine Unmöglichkeit sondergleichen.
    Meine Herrin nickte knapp und höflich allen Anwesenden zu und kümmerte sich dann wie stets keinen Deut mehr um sie. Ich fühlte mich etwas unwohl, vergrub das Gefühl jedoch sogleich irgendwo in den Winkeln meiner zerstörten Seele. In den hinteren Reihen bei den Dienerschaften entdeckte ich auch die deutschen Bediensteten von Gut Waldeck. Ich freute mich, sie zu sehen und wir nickten uns kurz zur Begrüßung zu.
    Auch wurde ich Kieran gewahr, der geduldig und in unverschämt edlem, silbernem Zwirn unter der Eiche bei dem steinalten Pfarrer wartete. Er sah nicht einmal in meine Richtung und es zog unangenehm in meinem Magen. Dennoch, es würde sicherlich spannend werden, ob dieser Gottesmann dort vorn die Trauung überhaupt überleben würde, denn er hustete ständig erbärmlich und laut rasselnd in sein Tuch.
    Mit einem Mal wandten sich alle Blicke gleichzeitig einer Richtung zu. Ich folgte ihrer Bewegung und erkannte Graf Hektor in einem gepolsterten rollenden Stuhl, der von Duncan mühsam über den gefrorenen Rasen geschoben wurde. Ich verneigte mich wie alle anderen erstaunt vor meinem Herrn. Allein Lady Amaranth reckte das spitze Kinn und schenkte ihm lediglich einen unergründlichen Blick aus ihren Augen hinter dem Schleier hervor. Hektor hielt ihn in dem seinen ebenfalls fest. Zwar fern von der Liebe zwischen Eheleuten, wie ich fand, aber auch bar jeglicher Antipathie oder gar Abscheu. Aber was verstehe ich schon davon. Der Diener nahm mit seinem Herrn den vordersten Platz ein. Kieran und Graf Hektor lächelten sich warm zu und Hektor legte die Fingerspitzen wie zum stummen Dank aneinander und neigte den Kopf. Eine kleine Gruppe von Damen etwas abseits hoben Harfen und Violinen und stimmten eine so traumhafte Melodie an, dass mir dicke Tränen in den Augen brannten. Eben noch fragte ich mich, wie viel diese Einlage wohl kosten mochte, da man ja generell einen Bogen um das Anwesen machte, als die Braut hinzukam.
    Aus einem Meer von schillernden Blüten schritt sie zwischen großen schneebedeckten Stauden hervor. In reines Weiß gekleidet, überstrahlte sie selbst die hellsten Laternen, die in der untergehenden Wintersonne in den Bäumen leuchteten. Ihr langärmliges Hochzeitskleid betonte ihren wundervoll weiblichen Körper, ohne ihn zur Schau zu stellen, obwohl sie ein großzügiges Dekolleté trug. Um ihren Hals lag ein silberner Lilienanhänger, ein Geschenk ihres Vaters. Die überlange Kette des Schmuckstückes war einmal um ihren Hals gewunden, sodass es direkt auf ihrem Schlüsselbein lag. Ihre Schultern waren bloß, dafür schmiegte sich ein mit weißen Federn und Pelz besetzter Kragen an ihre feine Haut. Elfenbeinfarbene Schnürungen hielten das Kleid unter der Brust zusammen und der dicke, mit silbrigen Lilienornamenten bestickte Stoff floss hinab zu ihren Füßen. Sie schwebte an mir vorbei, und in jenem Moment glaubte ich tatsächlich, dass dieser Augenblick einzig und allein für sie existierte – ja, für sie geschaffen war. Meine Lady versteifte sich kaum merklich und packte meinen Arm für einen Wimpernschlag wie mit Vogelkrallen. Ich sog vor
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