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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Eiche drapiert und unzählige, noch schwache Lichter in ihre Äste gehängt worden waren. Für mich unbekannte weiße Blütenranken traten körbeweise zutage. Einzig der vom Schneeregen durchweichte Boden trübte ein wenig die märchenhafte Atmosphäre. Ein Teppich aus Blüten, der irgendwo zwischen den üppigen von Reif überzogenen Büschen hervorführte, bildete eine schlichte, aber keinesfalls schmucklose Dekoration. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ähnlich elegant wie am Vortag auf der Beerdigung auch zur Hochzeit zu erscheinen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel deklinierte ich meine Garderobe jedoch etwas herunter. Hier war weniger ausnahmsweise einmal mehr. Also nahm ich die glitzernden Tücher aus Kragen und Brusttasche, zog die ornamentverzierten Hosenträger unter der Weste mit dem Tartan der Familie Amaranth hervor, und stellte fest, dass ein Paar schlichte Gamaschen wohl ausreichen sollte. Ich entschied mich anstatt für Karos, Ornamente und nadeldünne Streifen, nun für schlichte hellgraue Seide, weiße Gamaschen und einen dunkelroten Schal mit hellgrauen Punkten. Vom Fenster aus sah ich, wie ein Vierspänner mit vier Füchsen im Hof hielt; erkannte jedoch nicht, wer damit ankam. Abrupt wandte ich mich um, als mit einem Male mein Name durch die Gänge hallte. Die Lady zitierte mich also bereits in ihr Gemach und ich folgte augenblicklich wie stets, um sie nicht ein zweites Mal zum Ruf zu nötigen.
    Schüchtern klopfte ich an, lugte durch die halboffene Tür und trat ein. Sie saß in einem seidenen anthrazitfarbenen Kimono an ihrem Schminktisch mit dem großen schlichten Spiegel und kehrte mir wie eh und je den Rücken zu. Ihre schmale Hand, um deren Gelenk sie eine seidene schwarze Stoffblüte geschlungen hatte, deutete wortlos auf einen kleinen, offensichtlich neuen Hocker neben sich. Skeptisch musterte ich den Tisch, denn auf dem Möbel standen – und ich übertreibe nicht – mindestens fünfzig Flacons und Tiegel, die meisten geöffnet. Während unzählige Gedanken zu den halbwahren Schauergeschichten Kierans über bizarre Hexereien der Lady und die eigenartigen Erlebnisse von der irrsinnigen Reise durch mein aufgeweichtes Hirn jagten, angestachelt von den Überbleibseln des gestrigen Alkoholflusses, sank ich auf dem eigenartigen Schemelchen nieder.
    »Meine Herrin, Sie haben … irgendetwas … in einen Hocker verwandelt?«, stotterte ich und deutete wirr unter mich.
    Ein halbes Lächeln verzerrte ihre untere Gesichtshälfte. »Sei kein vollkommener Dummkopf, Frederick«, hauchte sie und fuhr fort, etwas Milchiges in ihr Gesicht sanft einzumassieren. »Ich habe ihn vor wenigen Tagen aus der Stadt anliefern lassen. Entzückend, nicht wahr? Sie haben ihn für eine Marchesa angefertigt, die ihn dann nicht abholte. Zu dumm, er ist bezaubernd.«
    Einen Moment beobachtete ich erleichtert die Staubfeen, die sich im spärlichen Sonnenlicht wiegten, und ließ meine Schultern entspannt sinken. Die Lady seufzte kaum hörbar und ich spürte dennoch den belustigten Tadel, den sie mir entgegenbrachte, seit ich das Manor einst durchgefroren und weit mehr als nur halb tot vor Jahren betreten hatte. Sie bestäubte ihre Wangenknochen mit etwas Rouge, legte den Pinsel beiseite und blickte mich dann fest durch den Spiegel an, die Hände locker im Schoß gefaltet.
    »Ich möchte etwas mit dir teilen, Frederick«, sagte sie ohne Umschweife.
    Ich rutschte ihr erwartungsvoll entgegen. Aus einem winzigen Schub des Schminktischchens zauberte sie eine feine Porzellanschale hervor, auf der etwas Bräunliches, in Scheiben Geschnittenes lag. Einige längliche, hauchdünne Wurzeln ringelten sich ein, wie kleine Krakenarme.
    Ich begutachtete es von allen Seiten, um es im besten Sinne für unansehnlich zu befinden. Es sah beinahe aus wie ein Gemüse.
    »Was ist das? Etwa Rettich?«, fragte ich vorsichtig, bemüht, nicht allzu unwissend zu klingen.
    Sie lachte kurz auf.
    »Das ist kein Rettich, Frederick. Das ist die Knolle einer Mandragora«, erklärte sie mir. »Eine Alraunwurzel, ein in der freien Natur leider eher übelriechendes Nachtschattengewächs, das man meist von irgendwelchen einfachen Leuten …«, sie wedelte abschätzig mit der Hand, »… ausgraben lässt, denn sie hinterlässt dunkle Flecken auf der Haut, die sich schlecht abwaschen lassen. Die Blätter werden entfernt, dabei muss man sich gut vorsehen, denn die gesamte Pflanze ist giftig und kann sogar zu Atemlähmung und natürlich dem unweigerlichen Tod
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