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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition)
Autoren: Siegfried Kracauer
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war ein neuer blanker Bogen eingespannt. Sie hatten heute mit dem Schwimmbad anfangen wollen.
    »Ich habe mir überlegt«, äußerte Ginster, »die Eingänge und Vorräume sollten ganz unscheinbar gehalten werden. Man macht jetzt überall monumentale Portale, und dahinter kommt nichts mehr. Die modernen Bahnhöfe sind der passende Ort für Trauerfeste im großen. Wie man in ihnen eine Fahrkarte vierter Klasse verlangen kann, begreife ich nicht. Das Schwimmbad dürfte nur Nebeneingänge haben. Die meisten Leute, die es benutzen, steigen gewöhnlich doch nur über Lieferantentreppen in die Geschosse.«
    Herr Allinger nahm einen der Bleistifte zur Hand, der ihm beflissen entgegenhüpfte. »Als ich heute nacht schlaflos lag, kam mir die Ausstattung der Schwimmhalle in den Sinn. Es müssen sich Muster auf den Wandplatten herumziehen, die das Wassergekräusel wiederholen. Von der Wirkung der Lichtreflexe verspreche ich mir viel. Die Pfeilerflächen sind glatt zu halten, damit sie spiegeln. Ihre Helle könnte mit Wandnischen kontrastieren, aus denen von Delphinen Glanzlichter springen. Der Kassenraum wird vielleicht als Oval auszubilden sein, ich liebe die Ecken nicht.« Der Bleistift beschrieb weiche Kurven, ohne den neuen Bogen zu berühren.
    Wie Ginster einfiel, hatte er in einem Schwimmbad schwimmen gelernt. »Mein Lehrer hieß Treiber. Er hängte mich an eine Angelrute und ließ mich ins Wasser herunter. Lauter Knaben, die schon schwimmen konnten, schossen um mich herum. Dann wurde ich frei. Ich schwamm gern auf dem Rücken und sah ins Glasoberlicht. Wir müssen in der Decke über dem Bassin ein großes Kaleidoskop einlassen, das durch eine Maschinerie in Bewegung gesetzt wird und in immer anderen farbenprächtigen Figuren sprüht …«
    »Vorläufig hängen wir an der Angelschnur.«
    Allingers Frau war ins Atelier gekommen, mit einem Jungen, Hans oder Karl, der ein Holzschwert umgebunden hatte. Ein Bekannter habe antelefoniert, daß ihm soeben die Marschorder zugegangen sei.
    »Der erste Mobilmachungstag«, sagte Herr Allinger.
    Hinten am Horizont lag Rauch: Eisenbahnzüge. DerHimmel war wolkenlos. »Mir ist es immer, als ob ich trommeln höre«, meinte Ginster. Er hatte in dem Haus verkehrt, ehe er von Allinger angestellt worden war. Beide starrten gleichzeitig auf den weißen Bogen, über den die Reißschiene lief. Herr Allinger wies mit einer unbestimmten Gebärde zum Fenster hinaus. »Aus dem Schwimmbad wird nichts werden.« Dann unvermittelt: »Was wollen Sie tun? Bleiben Sie in M.?« Ginster empfand Mitleid mit dem Mann; alle die Kännchen und Wiesen. Er erhielt sein Gehalt ausbezahlt. Die Frau trug eine Gießkanne, der Hans oder Karl jagte ein Schwesterchen mit dem Holzschwert in den Garten. Ginster ging weg. Nun war er in M. nur noch zu Gast.
    Daheim fand er die Wohnungstüre zugesperrt. Die Sicherheitskette mußte vorgeschoben worden sein, nur ein schmaler Spalt öffnete sich. Er schellte einmal, zweimal. Am hellen Nachmittag; der Unfug. Die Tür war mit den Visitenkarten der Aftermieter bespickt, auch auf der Tür nebenan saßen Kärtchen. Ginster nahm sich vor, einmal sämtliche Visitenkarten im Haus zu zählen. Er war noch nie bis zum obersten Stockwerk gelangt. Der Kopf der Wirtin zeigte sich in dem Spalt.
    »Bei den Zeiten«, sagte sie und entfernte langsam die Kette, »man weiß nie, wer sich einschleichen will. Seien Sie vorsichtig, Ulla, hat der Assessor gesagt. Über die Schneiderin spreche ich nicht. Mir kann es recht sein. Es ist schon gut, daß es manchmal Kriege gibt …«
    Von dem Körper getrennt, ragte der Kopf beziehungslos über den Treppenpodest. Er war größer als sonst und mit Tüchern umwickelt. Die Reliefkarte einer fruchtbaren Provinz, von einem Lehrling grellrot bemalt. Chausseen und Abzugsgräben durchfurchten das Gelände, aus dem sich eine unbesteigbare Bergmasse erhob. Es fehlte nichtan Aussichtstürmchen und Wäldern. Um in die Mitte der Augen zu gelangen, waren Teiche zu überqueren. Die gefärbte Plastik bewegte sich auf und ab und schien immer näher zu rücken, während Ginster zusammenschrumpfte. Er lag betäubt am Chausseerand in irgendeinem Winkel des Landes.
    »Meine Zimmer kriege ich immer wieder los, auch wenn Sie nach Hause fahren, das ist mir ganz gleich. Aber zahlen müssen Sie bis zum Ersten. Die Rechnung ist schon geschrieben. Der Herr Assessor …«
    »Warum nach Hause …« Ginster hatte nur halb hingehört.
    »Sie werden ja sehen. Ich bekümmere mich um nichts.
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