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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
Autoren: Das heilige Feuer
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Dieses Mädchen hatte nicht die geringste Ahnung, was hinter ihrem dummen Gequatsche steckte. Wie konnte sie es wagen, Sebastians Leben hervorzuzerren, um dann darauf einzuhacken, als würde es sich um irgendeinen billigen Zeitungsklatsch handeln?
    »Ich glaube nicht an all diesen Unsinn«, sagte ich kühl.
    »Nun, alle sagen, dass es in Wyldcliffe spukt.« Das Mädchen ließ sich wieder in ihren Sitz sinken; sie wirkte klein und dürr in ihrer schlecht sitzenden Schuluniform. »Und meine Mom sagt, dass damals, als sie auf Wyldcliffe war, die Schülerinnen sich immer gegenseitig dazu herausgefordert hätten, nach Agnes’ Geist zu suchen, wenn es dunkel geworden war. Mom hat ihn aber nie gesehen. Du vielleicht?«
    Ich stand abrupt auf. »Ich gehe in den Bistrowagen und hole mir einen Kaffee.« Während ich meine Geldbörse aus der Tasche zog, versuchte ich mich zu beruhigen. Schließlich war sie nur ein Kind, das zum ersten Mal auf ein Internat ging und aufgeregt war wegen allem, was sie über die alte Abtei und ihre lange Geschichte gehört hatte. Es war nicht ihr Fehler, dass sie unbeholfen und unscheinbar und taktlos war. Ich bemühte mich, freundlich zu klingen, auch wenn ich mich nicht so fühlte. »Also, ich werde nicht lange weg sein. Äh, wie heißt du eigentlich?«

    »Harriet.« Sie lächelte schwach. »Harriet Templeton. Genieß deinen Kaffee.«
    Ich zuckte zusammen, als hätte jemand auf mich geschossen.
    Templeton. Harriet Templeton. Konnte sie … War sie auf irgendeine Weise mit Agnes verwandt? Wenn ja, war sie mit mir verwandt? Und wieso war sie so an Sebastian interessiert?
    Der Zug ruckelte auf den Gleisen hin und her, und ich stolperte in den nächsten Waggon, in dem die Getränke und Snacks verkauft wurden. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich bezahlte mein Getränk, aber ich ging nicht zu meinem Platz zurück. Ich fand ein freies Plätzchen im Korridor und starrte aus dem Fenster, ließ meinen Kaffee kalt werden, während wir uns weiter und weiter von London entfernten und in den hohen, wilden Norden ratterten.

Fünf

    Aus den persönlichen Unterlagen
von Sebastian James Fairfax
    Im weiten, wilden Norden warte ich
Auf das Mädchen vom ruhelosen Meer.
Komm, wilder Wind, finde meine Liebe
Und schicke sie zurück zu mir.
     
    Im weiten, wilden Norden sehnt sich mein Herz
Nach dem Mädchen mit den meergrauen Augen.
Oh, meine Liebste – meine Liebste …
    Evie – meine Worte sterben, mein Körper zittert, mein Herz ist verflucht.
    Ich habe schon einmal versucht, ein Gedicht für dich zu schreiben, und damals genauso versagt wie jetzt.
    Die Anstrengung, eine Feder und Tusche zu benutzen, überfordert mich fast, aber irgendwie sehe ich dich da─ bei so deutlich vor mir. Ich sehne mich danach, bei dir zu sein, deine Stimme zu hören, dein Gesicht zu sehen; in diesen Momenten, wenn ich nach den richtigen Wor─ ten ringe, um dir zu erklären, wie ich mich fühle, kann ich mir einbilden, dass du nahe bei mir wärst.

    Aber es ist alles umsonst. Meine Worte sind leer und bedeutungslos. Die Hirngespinste eines Wahnsinnigen, würden die Leute sagen.
    Sie haben mich vor langer Zeit als wahnsinnig bezeichnet – vor mehr als hundert Wintern, in einem an─ deren Leben. In einer anderen Wirklichkeit.
    Ich war aus London zurückgekehrt, befeuert von allen Möglichkeiten des Mystischen Weges, sowohl den erlaubten als auch den verbotenen. Ich war besessen von den dunklen Geheimnissen, die ich entdeckt hatte, und wild entschlossen, meine selbstsüchtigen Träume vom ewigen Leben zu verfolgen, ganz egal, was für einen Preis ich dafür auch würde zahlen müssen. Ich lernte, sann und plante, bis mein Hirn fieberte und mein Körper geschwächt war. Meine Familie und meine Freunde hielten mich für verrückt. Damals war es Agnes, die aus der Ferne zusah und für mich betete — wie ich glaube, dass auch du es jetzt tust.
    Liebe Agnes.
    Liebste Evie, mein Schatz.
    Wie deutlich ich mich noch an jede Einzelheit aus diesem anderen Leben erinnern kann: meine weinende Mutter, mein kalter, wütender Vater, die Bediensteten, die in den Ecken kauerten und der Doktor, der seine wichtigtuerischen Erklärungen von sich gab, die mich so wütend machten. Alles, was damals passiert ist, steht klar und deutlich vor mir, und doch scheinen die Dinge, die erst vor kurzem geschehen sind, in meinem unruhigen Geist zu verblassen.
    Zu verblassen, zu verschwimmen und der Verwirrung anheim zu fallen, wie von Tinte getrübtes
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