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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE
Autoren: Thomas Müller
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ich blieb stehen und wartete, die Uhr ständig in meinem Blickfeld. Es war kurz vor 21 Uhr. Eine japanische Einkindfamilie flanierte vor mir und das kleine schwarzhaarige Mädchen hüpfte in seinem rosa Röckchen und den weißen Strümpfen, genau so wie ich es tun wollte. Nachdenklich versank mein Blick in der tanzenden Wasseroberfläche, als ob sich meine Gedanken in das dunkle Grün vertiefen wollten, um noch einmal Revue passieren zu lassen, warum ich eigentlich hier war.

fünf
    Es gibt für mich nichts Peinlicheres, als wenn während eines Vortrages oder einer Vorlesung mein Handy klingeln würde. Es ist ein Akt des Anstandes und der Höflichkeit, dass man während einer Tätigkeit für andere Menschen dafür Sorge trägt, ungestörte Aufmerksamkeit zur Verfügung zu stellen. Ich hatte es während eines Auslandsaufenthaltes mit meinem Ausbildner und Mentor Robert Ressler, dem ehemaligen Direktor der Forensic Behavioral Services, also der Verhaltensforschungseinheit des FBI, nach seiner Pensionierung erlebt, als wir von der südafrikanischen Regierung gebeten worden waren, etwa 60 Offiziere auszubilden, dass ein Vortragender auf dem vordersten Tisch saß und als sein Handy zu bimmeln begann, ohne eine Wort der Entschuldigung längere Zeit mit irgendjemand telefonierte. Es war einfach nur peinlich. Ich achtete seit damals stets darauf, dass das Handy ausgeschaltet war, wenn ich einen Vortrag begann, an einer Sitzung teilnahm oder auch nur in die Nähe eines Hörsaales einer Universität kam. Kurz nach Neujahr des Jahres 2005 war meine Nachlässigkeit größer als die eigene Scham, eine unwiderrufliche Peinlichkeit zu begehen. Aber das Schicksal hätte die Dramaturgie nicht besser einfädeln können.
    Gerade als ich meine Vorlesung an der Universität Wien über deviantes, also abweichendes Verhalten in eine Pause überleitete und ich mich in den unteren Teil der steil aufsteigenden Sitzreihen begab, um meine Nachrichten abzuhorchen, läutete diese kleine unwiderrufliche Nervensäge, ohne die scheinbar niemand mehr am Beginn des 21. Jahrhunderts überleben kann. Ein sehr höflicher Mann, den ich aufgrund seiner Stimme etwa meinem eigenen Alter zuordnete, fragte an, ob ich kurz für den Polizeichef zu sprechen wäre. Aufgrund der Sprache, der Klarheit und Deutlichkeit, mit der dieser Mann mit mir sprach, war mir bewusst, dass es sich nicht um eine Einladung für einen Vortrag handeln würde, zumal ich auch wenig später verstand, aus welchem Staat der Anruf überhaupt kam.
    Der Polizeichef stellte sehr rasch in aller Deutlichkeit fest, dass er nicht vorhabe, am Telefon lange mit mir zu sprechen. Er sei beauftragt, im Namen der zuständigen Staatsanwaltschaft mich zu ersuchen, ehest möglich zu erscheinen, um eine, wie er es formulierte, „Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit und Wichtigkeit“ persönlich zu besprechen. Nachdem er mir die bereits offensichtlich bis ins Genaueste geplante Reiselogistik für den darauf folgenden Tag mitgeteilt hatte, an dem ich mit welcher Maschine mit dem bereits hinterlegten Ticket wohin zu reisen hätte, ließ er mich noch wissen, dass er um absolute Vertraulichkeit ersuchte und dass er mich ebenfalls über Auftrag der zuständigen Gerichtsbehörde im Rahmen meiner gerichtlich beeideten und zertifizierten Sachverständigentätigkeit ansprach und nicht als Mitarbeiter des österreichischen Innenministeriums.
    Der Unterschied liegt ganz einfach in der rechtlichen Beurteilung. Als Beamter war und bin ich verpflichtet, über meine Tätigkeit zu berichten und auch inhaltlich weisungsgebunden. Als unabhängiger Sachverständiger bin ich das nicht. In dieser Tätigkeit bin ich sogar verpflichtet, weisungsfrei, unabhängig und unparteiisch meiner Tätigkeit nachzukommen. Das Einzige, was er mir inhaltlich während dieses Telefongespräches mitteilte, war, dass es sich um einen Fall von internationaler Dimension handelte und man insbesondere auf absolute Vertraulichkeit Wert legte. Er wartete noch meine zustimmende Annahme des Mandates ab, bedankte sich und übergab das Gespräch abermals dem jungen Mann, der sich nunmehr als der Sekretär des Polizeipräsidenten herausstellte, der mich mit weiteren logistischen Details meiner Reiseaktivitäten versorgte.
    Etwa 28 Stunden später und ein paar tausend Kilometer von Wien entfernt erfuhr ich den Grund der eher außergewöhnlichen mehrmaligen Aufforderung hinsichtlich absoluter Vertraulichkeit.

sechs
    Unter strengsten
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