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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Garry Disher
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die Reaktion der stillen Gestalt neben ihm auf die Probe zu stellen, »schieße nicht über das Ziel hinaus.«
    Wyatt ging nicht darauf ein. Er hatte das nicht gewollt, hatte nicht gewußt, daß Ivan Younger seinen Bruder schicken würde. Er kurbelte sein Fenster herunter. Es war ein kühler Abend, die Luft roch nach Pflanzen und feuchter Erde. Es waren wenig Autos unterwegs, noch weniger Fußgänger. Von einem unauffällig geparkten Taxi aus beobachteten sie das Fromesche Anwesen, niemand beachtete sie.
    Ein paar Minuten später, als zwei ältere Frauen aus einem nahegelegenen Haus die Straße betraten, Gesichter und Haar schimmerten schmutzig weiß im Licht der Straßenlaternen, sagte Wyatt: »Schalt die Innenbeleuchtung ein und lies den Stadtplan. Versuch dein Gesicht zu verbergen.«
    » Verbergen? «fragte Sugarfoot. »Gibt’s jetzt auch noch Sprachunterricht?«
    Die Frauen spazierten am Taxi vorbei. Als Wyatt sich auf seinem Sitz umdrehte, um sie zu beobachten, warf seine knochige Nase einen hakenähnlichen Schatten über sein Gesicht. Er sah, wie die Frauen an einem kleinen Morris Sedan stehenblieben. Nach einigem Hin und Her wegen der Schlüssel und wer fahren würde, stiegen die Frauen in den Wagen und fuhren davon. Sie würden sich nicht an zwei Männer in einem Taxi erinnern, die nach einer Adresse suchten.
    Sugarfoot schaltete die Innenbeleuchtung aus und faltete den Stadtplan zusammen. »Mach schon, Wyatt. Wir hätten längst weg sein können.« Er schnippte seine Zigarette weg.
    »Noch fünf Minuten«, sagte Wyatt.
    Er beobachtete die Straße. Er würde die ganze Nacht warten, wenn ein Job das erfordern würde. Großmäuler wie Sugarfoot Younger wurden leicht nervös. Sie waren nie so stabil, wie man es gern hätte. Sie schluckten Aufputschmittel, pfuschten, machten Fehler. Was okay ist, dachte Wyatt, solange man nur nicht mit ihnen arbeitet.
    Im Sitz neben ihm seufzte Sugarfoot und verlagerte seine schweren Glieder. Er trug Levis, eine Jeansjacke, ein rotes Bandana um den Hals geknotet und hohe, beschlagene Lederstiefel. Er hätte seinen Stetson aufgesetzt, wenn Wyatt kein Theater gemacht hätte. Mit dem Handrücken streifte er über die Stoppeln an seinem Kinn. Offenbar erstaunt über das Geräusch und die Empfindung, tat er es noch einmal.
    Er wird gleich wieder anfangen zu labern, dachte Wyatt, warf einen flüchtigen Blick auf die glanzlosen, flachen Augen. Er kann sich einfach nicht beherrschen.
    Als hätte er auf seinen Einsatz gewartet, sagte Sugarfoot Younger: »Kennst du Jesse James? Den Banditen? Okay, paß auf. Er hatte diese beiden Brüder in der Gang, und ihr Nachname war Younger.« Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah Wyatt an. »Ich schätze, das macht mich und Ivan zu den zweiten Younger Brüdern.«
    Er beobachtete Wyatt, wartete auf eine Antwort. Wyatt sagte nichts. Er hob nur sein Handgelenk, um die Uhrzeit zu überprüfen. Wie jede seiner Bewegungen war diese flüssig und sparsam.
    »Es gibt da diesen Film über sie«, sagte Sugarfoot. » The Long Riders. Wie sie dauernd in Auseinandersetzungen geraten, bis sie zurückschlagen. Sie überfallen Züge, Banken, alles mögliche. Ich habe das Video zu Hause.«
    Wyatt hatte von dieser Cowboy-Manie gehört. Die war höchstwahrscheinlich für den Namen Sugarfoot verantwortlich, ein Name aus einer alten Fernsehshow, aber er hoffte, daß der, der ihn Bruno Younger gegeben hatte, das ironisch gemeint hatte. Bruno Younger hatte mit einundzwanzig das richtige Alter für einen Cowboy-Punk, aber er war ein schwergewichtiger, brutaler Typ, und Wyatt konnte sich nicht vorstellen, wie er einen Zug von einem Pferderücken aus überfallen würde.
    »Zum Schluß gibt’s diese lange Szene«, sagte Sugarfoot. »Die Gang überfällt eine Bank in Northfield, Minnesota – The Great Northfield, Minnesota Raid –, aber sie sind in eine Falle geraten. Es ist in Zeitlupe gedreht«, sagte er. Er schwieg. »Orchestriert«, sagte er dann und – als würde er das Wort erproben –, wiederholte er: »es ist orchestriert. Sekunde für Sekunde, jeder Schuß in Großaufnahme.« Er beschoß die Windschutzscheibe mit dem Finger. »Puff. Dann dieses phantastische Dunk, wenn die Kugel einschlägt.«
    Wyatt schwieg immer noch. Sugarfoot, inzwischen ärgerlich, sagte: »Ivan glaubt, du bist Fachmann für Banken und gepanzerte Wagen und so.«
    Wyatt beobachtete weiter den spärlichen Verkehr und das Haus der Fromes, das abgeschirmt hinter kunstvoll beschnittenen
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