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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Garry Disher
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unternehmen.
    Wyatt befand sich am Rand des Kiefernwaldes gegenüber dem Haus. Das war ein Nachteil, falls Sugarfoot sich von der Flanke des anderen Endes vorarbeitete und ihn zurück in den zweifelhaften Schutz der Gebüsche und der Brombeersträucher zwang. Er entfernte sich etwa hundert Meter vom Haus und drehte dann nach Norden ab, vollzog einen langen, langsamen Bogen bis zu dem Punkt, an dem der Kiefernwald endete und die Obstplantage begann. Sugarfoot sollte ihn im Rücken haben.
    Dann entdeckte er ihn. Sugarfoot hatte sich nicht mal die Zeit genommen, in einem großen Bogen von der Obstplantage zurückzukehren. In dem Moment entdeckte auch Sugarfoot Wyatt. Er blieb stehen, riß das große Gewehr hoch und feuerte. In dem dicht bewachsenen Areal klang das Geräusch gedämpft und flach. Ein Stück Rinde löste sich von einem Baumstumpf in Wyatts Nähe. Aber Sugarfoot feuerte blind. Für einen sauberen Schuß hatte er keine Zeit oder nicht die Möglichkeit, genau zu zielen.
    Wyatt drehte sich um, rannte mit lautstarken Schritten in Richtung der Obstplantage, blieb abrupt stehen und schlich nach links. Er wartete. Sollte Sugarfoot in der Absicht, ihn abzufangen, einen Bogen machen, würde er ihm folgen.
    Plötzlich rief Sugarfoot: »Du bist am Ende, Wyatt!«
    Der Idiot gab tatsächlich seine Position bekannt. Wyatt verharrte, verfolgte die Stimme. Sugarfoot war abgebogen, wie er erwartet hatte, und kürzte den Weg zu der Obstplantage durch den Kiefernwald ab. Er folgte ihm.
    »Hörst du mich, Wyatt? Hörst du mich?«
    Sugarfoot unternahm keine Anstrengung mehr, leise zu sein. Die Cowboystiefel stapften über die Kiefernnadeln, der lange Mantel blieb an Baumstämmen hängen. Abwechselnd murmelte er vor sich hin und schoß.
    »Du Fotze. Mußtest ihn nicht gleich umbringen. Ivan hat dir nie etwas getan. Verdammt, er hat dir Jobs besorgt.«
    Die Stimme brach wieder ab, stammelte und jammerte.
    Wyatt horchte und sah sich um. Jetzt hatte er Sugarfoot genau geortet und nahm die Verfolgung auf. Sugarfoot hatte das Gewehr fallen lassen. Er trug einen langläufigen Revolver. Aus der Entfernung sah es nach einem Colt Woodsman aus; keine schlechte Wahl, leicht und genau. Aber die schlanke, moderne Linienführung und der beschlagene Griff waren unvereinbar. Sugarfoot schlich wie eine Clint-Eastwood-Karikatur herum, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gezogen, der lange Mantel verlieh ihm das Aussehen eines Rächers.
    Er kreischte plötzlich: »Wyatt, du bist ein Feigling«, und wirbelte wild um sich schießend herum.
    Es sah nicht aus wie panisches Schießen. Er will, daß ich mich ihm zeige, dachte Wyatt. Das ist sein glorreicher Augenblick, was für ein Schwachkopf.
    Wyatt wartete. Sugarfoot drehte ab, zog sich wieder zwischen die Bäume zurück, machte sich Richtung Obstplantage auf. Wyatt folgte ihm. Nun war er etwa zwanzig Schritte hinter Sugarfoot. Die Chancen häuften sich. »Was ist los, Wyatt? Hast du Angst? Ist deine Blase so schwach, daß du dich nicht zeigen kannst?«
    Wyatt verringerte die Entfernung. Die Kiefern standen nun nicht mehr so dicht, er konnte Sugarfoot jetzt deutlicher sehen. Sugarfoot blickte in die andere Richtung. Wyatt sah, wie er die Hand an den Mund hob und rief: »Du bist eine Memme, Wyatt. Zeig dich wie ein Mann.«
    Wyatt stellte sich breitbeinig hin, stabilisierte die .38er mit seiner linken Hand und schoß Sugarfoot Younger in den Hinterkopf.
    Wieder spannte er den Hahn der Waffe und wartete. Aber Sugarfoot hatte sich nach vorn gebeugt, sich fallengelassen und nicht mehr bewegt.
    Wyatt entspannte den Hahn und ließ die Waffe sinken. Seine Kraft schien in den Boden abzufließen.
    Als ihn eine Stimme anrief, fuhr er herum, als sei er aus dem Schlaf erwacht. Er zog wieder den Hahn, hob die Waffe, hätte beinahe geschossen.
    »Mr. Warner?«
    Es war Craig. Er kam näher. Er hatte die Leiche noch nicht entdeckt.
    »Mr. Warner? Was ist hier los? Geht es Ihnen gut?«
    Er sah besorgt aus, war gerannt. Dann bemerkte er die Leiche, die mit dem Gesicht im Gras lag, runzelte die Stirn, versuchte zu verstehen und sah Wyatt mit schockiertem Gesicht an.
    Wyatt ließ die .38er sinken. Craig sah die Bewegung, erblickte die Waffe. Er machte einen Schritt zurück, murmelte etwas, Wyatt verstand: »Nein, bitte, nicht.« Mit einem letzten verzerrten Blick drehte Craig sich um und fing an zu laufen.
    Es war eine stürmische, angstvolle Flucht, als erwartete er den Einschlag einer Kugel im Rücken. Doch Wyatt
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