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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
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Gedanken treiben, dachte an Sackgesichter, den Ku-Klux-Klan, Marlboro-Zigaretten, Cowboys. Es ging drunter und drüber in mir, während mir lauter surrealer Unsinn durch den Kopf zog. Ich war müde.
    Gerade versuchte ich mich an dem Gedanken festzuhalten, dass ich mich schnell ausziehen und unter meine Decke schlüpfen sollte, als im Wohnzimmer das Telefon klingelte. Mein Herz machte einen Satz. Nach einem kurzen Moment der Verwirrtheit kehrten schlagartig Vernunft und Erinnerung in mein Gehirn zurück. Blitzschnell folgte auch die Angst. Es war schwierig, sie in den Griff zu bekommen, um meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen.
    Lass es einfach klingeln, sagte ich zu mir selbst. Ein Telefon kann nicht verletzen. Ein Telefon kann sich mir nicht über die Straße hinweg zur Schau stellen.
    Ich lag da, versuchte ruhig zu atmen, während ich darauf wartete, dass der Anrufbeantworter ansprang. Wahrscheinlich war es Jenny oder meine Mutter. Das waren die beiden einzigen Menschen, die ich kannte, die mich auch zu vollkommen unmöglichen Zeiten anrufen würden.
    «Hi, hier spricht Beth», sagte meine Automatenstimme, schrill und gespreizt. «Offenbar bin ich nicht zu Hause. Aber ihr wisst ja, wie das geht. Ein Piepen, eine Nachricht, und dann rufe ich so schnell wie möglich zurück.»
    Es piepte. Eine männliche Stimme ertönte: «Was machst du, Beth? Besorgst du’s dir gerade?»
    Eine lange Pause. Die Stimme klang sanft und heiser. Ich kannte sie nicht. Aber er war es, er musste es sein. Er kannte meinen Namen! Er hatte meine Telefonnummer, verflucht nochmal!
    Eiskalter Schrecken fuhr mir in die Glieder. Zum zweiten Mal heute Abend hielt ich seinetwegen die Luft an und lauschte. Aber diesmal gab es kein «Alles nur geträumt»-Netz mehr, das mich auffangen würde. Dies war die Wirklichkeit: sachlich, beängstigend, gnadenlos.
    «Entschuldige bitte, wenn du es gerade tust. Ich wollte dich nicht stören. Woran denkst du, wenn du dich selbst berührst, Beth? Wie und wo fasst du dich an?» Und dann, nach einer weiteren Pause: «Du solltest mich mal anrufen. Wir könnten ein bisschen plaudern.»
    Ein Klicken, und dann begann das Band zurückzuspulen.
    Ich sprang von meinem Bett auf und rannte zum Telefon, wobei ich dachte: Bitte, Mutter, bitte, Jenny, bitte, Falschverbunden-Anrufer, nicht gerade jetzt bei mir probieren. Noch während ich nach dem Hörer griff, drückte ich den Knopf, um mir die Nummer des letzten Anrufers anzeigen zu lassen. Ich schnappte mir die Zeitung, kritzelte die Nummer in die rechte obere Ecke. Meine Hände zitterten. Ich drehte das Geschriebene um und notierte, nach einem Moment des Überlegens, dazu «Er».
    Eine ganze Weile saß ich einfach nur da, und in meinem Kopf drehte sich alles. Warum, warum, warum? Warum wusste er, wer ich war? Wie lange wusste er es bereits? Hatte er mich etwa schon die ganze Zeit beobachtet, und jetzt würde er mich verfolgen?
    Noch einmal sah ich in der Anruferliste nach. Zur Nummer auf der Zeitung schrieb ich noch die Zeit, zu der ich angerufen worden war. Ich dachte: Das wird der Polizei helfen, wenn man mich irgendwann tot auffindet.
    Dann ließ ich seine Nachricht nochmal laufen. Wieder und wieder und noch einmal.

Kapitel zwei 
    KörperSprache.
    Körper steht für den Aspekt der darstellenden Künste: Tanz, Kabarett, experimentelles Theater und so weiter; Sprache steht für das gesprochene Wort: die Dichter, die Schriftsteller, die Spaßmacher, die Geschichtenerzähler. Zumindest war das ursprünglich mal so gewesen.
    Und dieser Club war – und ist – nur ein Teil von dem, was ich tue. Ich mache nichts, was man als einen echten Beruf bezeichnen könnte, es handelt sich vielmehr um eine Berufsrichtung, die besagt, dass ich im Bereich Kunst arbeite, und zwar nicht nur aus Begeisterung, sondern auch um Geld damit zu verdienen. Mein Leben wirkt – aus lauter Patchwork-Flicken zusammengesetzt – wie ein Quilt: aus dem Betreiben des Clubs bei Nacht, dem Schreiben für ein paar lokale Szeneblätter, gelegentlicher Arbeit als Synchronsprecherin, und wenn ich pleite bin, gelingt es mir meistens, in irgendeiner der Bars nebenbei ein bisschen Arbeit zu finden. Wenn man das alles zusammennäht, ergibt sich daraus etwas, das Miete, laufende Rechnungen und Essen abdeckt und mir darüber hinaus noch genug für ein bisschen Vergnügen lässt.
    Jeder, der sich auch nur ein kleines bisschen in der örtlichen Kunstszene auskennt, weiß, wer ich bin. Man könnte mich als einen
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