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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
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Richtung.
    Martin schien das nicht ganz so zu sehen. Er wollte mich noch immer. «Das ist nur so eine Phase», erklärte ich ihm. «Schon in ein paar Wochen wirst du irgendwann aufwachen und denken: ‹Ich muss irgendwie nicht ganz dicht gewesen sein, dass ich Beth begehrt habe.›» Aber das sah er anders und sagte, er müsse wohl jahrelang seine wahren Gefühle unterdrückt haben und blind gewesen sein, dass er nicht bemerkt habe, wie verdammt sexy ich sei.
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer. Martin hatte eine CD eingelegt, irgendwas Poppiges, Belangloses, und wir tranken «auf Beth und ihre neue Bude».
    «Oh, das hätte ich fast vergessen», sagte Martin und wühlte nochmal in seinem Rucksack. «Clare hat mich gebeten, dir das mitzubringen. Die Frau, die in dein Zimmer eingezogen ist, hat’s gefunden.»
    Seine Lippen waren verkrampft von der Anstrengung, nicht laut loszuprusten, als er mit kühnem Schwung meinen Vibrator zutage förderte, goldfarben und glänzend in der strahlend hellen Junisonne.
    Ich errötete. Ich werde nicht oft rot, aber da passierte es mir.
    «Scheiße», sagte ich leise, schloss meine Augen und versuchte das gekünstelte Lachen eines Menschen zu unterdrücken, den man bei einer bodenlosen Peinlichkeit erwischt hat. Dann riss ich ihn ihm aus der Hand. «Danke», zischte ich ihm in gespielter Verärgerung zu. «Ich wusste nicht, dass du dich für so was interessierst.»
    Martin lachte freundlich belustigt und versuchte das Ganze als bloßen Spaß hinzustellen. Aber für mich war es mehr als das.
    Als Liebhaber waren wir immer eher vorsichtig und schüchtern miteinander umgegangen, da uns die langen Jahre unserer platonischen Freundschaft befangen sein ließen. Beim Sex waren wir überhaupt nicht forschend oder ausschweifend gewesen; das wäre ja gewesen, als hätten wir uns hingestellt und erklärt: «Hey, wir machen’s richtig, wir zwei, nackt, wie wir sind. Mal sehen, was sich dabei sonst noch erleben lässt.»
    Aber wir beide wussten eigentlich ganz genau, dass es falsch war, was wir dort taten; Zuneigung und nicht Lust war es, was uns antrieb – zumindest von meiner Seite aus –, und deshalb hielten wir uns auch an die ziemlich grundlegenden Praktiken. Der Vibrator erschien mir jetzt wie eine Art Symbol für diese Kluft zwischen uns, ein sehr persönliches und peinliches Symbol.
    So gerne ich ihn ganz hinten in einer dunklen Schublade versteckt hätte, entschied ich trotzdem, dass es weiser wäre, ihn einfach mitten auf den Tisch zu legen. Dann ging ich quer durchs Zimmer, täuschte Lockerheit vor, machte scherzhafte Bemerkungen über Batterien und den «besten Freund» einer Frau. Ganz automatisch glitten meine Blicke hinüber zu dem Fenster des gesichtslosen Mannes.
    Seit jener seltsamen nächtlichen Begegnung war es mir nicht mehr gelungen, an meinem Fenster vorbeizugehen, ohne einen prüfenden Blick auf die andere Seite zu werfen. Diesmal wurde ich belohnt: Seine Jalousie war hochgezogen. Ich sah Schatten, die sich bewegten. Er war zurück.
    Oh, bitte nimm Notiz von mir, dachte ich. Sieh zu mir herüber, wie ich hier stehe, mit einem Glas Wein in der Hand, und Besuch von einem Freund habe. Sieh mich als Menschen mit einem erfüllten, bunten Leben, nicht als eine, die du in Angst und Erregung versetzt hast, nicht als eine, die du dazu gebracht hast, sich naiv in irgendwas oder irgendwen zu vergucken.
    Ich legte den Vibrator weg und verweilte noch ein bisschen im Erker, indem ich vorgab, mich um das Wohlergehen meiner neuen Pflanze zu kümmern. Martin, ausgestreckt auf dem Sofa, begann zu plaudern. Ich schob meinen Hintern auf den Heizkörper unter dem Fenster und erzählte Martin, wie schön sich die Sonne anfühlte, wie herrlich sie meinen Rücken durch die Scheiben wärmte, und bald schon machten wir Späße, tratschten über diesen und jenen – Freunde wie eh und je.
    Außer dass ich mich dabei ziemlich janusköpfig verhielt. Wie eine schreckliche, verachtenswerte, selbstsüchtige Schlange, die unsere Freundschaft mutwillig ausnutzte und zur Schau stellte, um damit die Aufmerksamkeit eines anderen Mannes zu erregen.
    Obwohl mir das in jenem Moment gar nicht so bewusst war. Und ich drehte mich auch nicht um; lud den Gesichtslosen nicht ein, mich anzusehen. Ich zeigte ihm nur die Rückseite meines Trägerhemdchens und alles, was dazugehörte – das nackte obere Drittel meines Rückens, meine unbedeckten Schultern und Arme, meinen Nacken. Ich zeigte ihm Haut, golden nach den
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