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Ghosts 01 - Ghosthunter

Ghosts 01 - Ghosthunter

Titel: Ghosts 01 - Ghosthunter
Autoren: Derek Meister
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oder einen Zettel zu spüren.
    Chiyo rieb sich die Hände an ihrer löchrigen Netzstrumpfhose ab und griff in den Stoff. Mit dem Zeigefinger versuchte sie, dem Stück habhaft zu werden, schob und drückte es, bis eine schwarz-weiße Ecke zum Vorschein kam.
    Die Ecke eines Fotos.
    Vorsichtig trennte Chiyo die Naht weiter auf und zog eine verblichene und leicht zerknitterte Aufnahme aus dem Helm. Das Bild musste mehr als sechzig Jahre alt sein. Die Anzüge der Männer, die Kleider und die Frisuren der drei Frauen auf dem Bild sprachen für die späten dreißiger oder frühen vierziger Jahre.
    Zwölf Personen standen auf einem Kai. Im Hintergrund waren Kräne einer Hafenanlage und ein Schiff zu erkennen, dessen Name Chiyo nur mit Mühe entziffern konnte: USS Eldridge. Drei Frauen und neun Männer standen vor dem Bug und blinzelten in die Sonne. Die Männer trugen Hemden und Stoffhosen, die Ärmel lässig hochgekrempelt, die Frauen Blusen und Röcke, die ihnen bis zu den Knöcheln gingen. Beinahe alle Männer hatten Hüte auf und rauchten Pfeife.
    Ein typisches Gruppenfoto. Ein Klassentreffen? Nein, dafür waren die Altersunterschiede zwischen den Männern und Frauen zu groß. Den ältesten, einen Mann mit Melone und Vollbart, schätzte sie auf siebzig, während die jüngste Person eine Frau von vielleicht zwanzig Jahren war.
    Es dauerte einen Moment, bis sie die Frau erkannte.
    Es war Sobo.
    Sie hielt etwas im Arm. Zuerst dachte Chiyo, es wäre ein Baby, doch dann erkannte sie Hitomi.
    Es war der Helm, den Sobo wie ein Baby im Arm wiegte. Ein junger stattlicher Mann im Cordanzug hatte seinen Arm um ihre Hüfte gelegt. Für eine Fotopose eine Spur zu zärtlich, wie Chiyo fand. Der Mann trug eine Nickelbrille, die ihn äußerst belesen erschienen ließ. Doch die Narbe auf seiner linken Wange wollte nicht recht zum Bild eines langweiligen Strebers passen. Im Gegenteil: Mit der Narbe und seinen neugierig blitzenden Augen sah er sogar ziemlich verwegen aus.
    Chiyo hätte schwören können, dass ihre Großmutter ein Verhältnis mit dem Mann gehabt hatte. Ach, Sobo. Sie war so jung, so voller Leben gewesen.
    Ihr kamen erneut die Tränen, doch sie kämpfte dagegen an. Hatte Sobo das Bild im Helm versteckt? Und wo war dieses Bild aufgenommen worden? Wer waren die anderen elf Männer und Frauen?
    Ein letztes Mal sah sie in die Gesichter der zwölf, die sich dort in der Sonne am Kai versammelt hatten, dann legte sie das Foto beiseite und atmete tief durch. Der Duft der Kiefern strömte durch die Luft und mittlerweile ratterte die Seilbahn mit den ersten Touristen auf den Berg.
    Chiyos Blick glitt noch einmal über den Helm. Er erinnerte sie mit seinem fleischigen Nackenpanzer noch immer an ein Insekt. Unheimlich. Die Kabel und die alte Motorradbatterie, an die Sobo den Helm angeschlossen hatte, lagen noch in Kenichis Büro. Egal. Chiyo hatte etwas Besseres.
    Vorsichtig legte sie einen Lithium-Ionen-Akku neben den Helm und betrachtete beides eine Weile. Sollte sie ihn wirklich anschließen? Was, wenn wirklich Hitomi schuld an Sobos Tod war? Konnte es ein Zufall sein, dass Großmutter ein paar Stunden, nachdem sie den Helm gefunden hatte, verbrannt war?
    Würde dieses Insekt auch sie beißen?
    Mit zittrigen Fingern riss sie ein Stück der antiquierten Ummantelung der Kabellitzen ab und schob die Drähte in die Anschlussklemmen des Akkus. Er war frisch aufgeladen, das wusste sie, weil sie ihn aus einem laufenden Touristen-Laptop am Akihabara-Bahnhof geklaut hatte. Ein trotteliger Gaijin hatte ihn bei Starbucks auf dem Tisch stehen lassen, während er sich noch einen Milchkaffee bestellt hatte.
    Mit dem Laptop hatte Chiyos nächtlicher Beutezug begonnen. Sie hatte ein paar Kleider und Werkzeug gebraucht und auch einen kleinen Rucksack geklaut. Ein Stoffteil in Form eines Kraken. Furchtbar hässlich, aber er tat seinen Dienst. Mehr und mehr Dinge waren hineingewandert und schließlich hatte sich Chiyo zum Berg aufgemacht.
    Sie packte den Lithium-Ionen-Akku auf den Helm und band ihn mit drei Streifen Klebeband fest. Dann nahm sie Hitomi hoch und fand auf Anhieb den Schalter. Er saß oberhalb des linken Ohres, dort, wo die Ladekabel im Helm verschwanden. Ein Sirren ertönte.
    Sollte sie wirklich?
    Was war Sobo so wichtig gewesen an diesem Helm, dass sie ihn ihr nicht hatte geben wollen? Sie hatte einen Aufstand gemacht, als hätte Chiyo ihr einen Schatz geraubt – oder ein Reagenzglas mit einem tödlichen Virus.
    Der Helm war Sobos
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