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Ghost

Titel: Ghost
Autoren: Robert Harris
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schwindelig werden kann, von winzig kleinen, halsabschneiderisch teuren Fachbuchhändlern in Cecil Court bis zu Discount-Monsterläden in der Charing Cross Road. In einem der letzteren schaue ich gelegentlich vorbei, einfach um mich zu informieren, wie meine Bücher platziert sind. Und genau das tat ich an jenem Nachmittag. Es waren nur ein paar Schritte über den abgenutzten roten Teppichboden in der Abteilung »Biografie & Memoiren«, um von der Kategorie »Prominente« zur Kategorie »Politik« zu gelangen.
    Ich war überrascht, wie viele Titel sie über den ehemaligen Premierminister vorrätig hatten – ein ganzes Regal voll, von der frühen Hagiografie Adam Lang: Staatsmann für unsere Zeit bis zum noch ganz frischen Totalverriss mit dem Titel Hand aufs Herz! Die gesammelten Lügen des Adam Lang , beide vom selben Autor. Ich zog die dickste Biografie heraus und blätterte zum Fototeil: Lang als kleines Kind, das vor einer Trockenmauer einem Lämmchen die Flasche gibt; Lang als Lady Macbeth in einer Schulaufführung; Lang als Huhn in der Footlights Revue an der Cambridge University; Lang als Merchant-Banker in den Siebzigern – definitiv stoned; Lang mit seiner Frau und seinen kleinen Kindern auf den Eingangsstufen eines neuen Hauses; Lang mit einem Parteiabzeichen am Revers, winkend auf dem offenen Oberdeck eines Busses am Tag seiner Wahl ins Parlament; Lang mit Abgeordnetenkollegen; Lang mit führenden Politikern aus aller Welt, mit Popstars, mit Soldaten im Nahen Osten. Ein kahlköpfiger Kunde in abgewetzter Lederjacke, der im Regal nebenan stöberte, schaute auf den Buchumschlag. Dann hielt er sich die Nase zu und zog mit der anderen Hand an einer imaginären Klospülung.
    Ich ging um das Bücherregal herum und suchte im Register der Biografie nach »McAra, Michael«. Es gab nur fünf oder sechs nichtssagende Verweise – mit anderen Worten: kein Grund, warum irgendwer außerhalb von Partei oder Regierung den Burschen kennen müsste. Also, Rick, dachte ich, red keinen Scheiß. Ich blätterte zurück zu einer Fotografie, die den lächelnden Premierminister am Kabinettstisch zeigte. Dahinter hatte sein Stab aus der Downing Street Aufstellung genommen. Die Bildunterschrift wies McAra als die stämmige Person in der hintersten Reihe aus. Er war nur unscharf zu erkennen – ein blasses, ernstes Gesicht unter dunklen Haaren. Ich kniff die Augen zusammen und schaute ihn mir genauer an. Er war exakt der Typ des faden Zukurzgekommenen, der sich von Natur aus zur Politik hingezogen fühlt und Leute wie mich dazu bringt, den Sportteil der Zeitung zu bevorzugen. Einen McAra findet man in jedem Land, in jedem System, im Dunstkreis von jeder Führungsperson, die einen politischen Apparat in Schwung zu halten hat: Sie sind die ölverschmierten Maschinisten im Kesselraum der Macht. Und das war der Mann, dem man die Abfassung einer Zehn-Millionen-Dollar-Biografie anvertraut hatte? Ich fühlte mich in meiner beruflichen Ehre gekränkt. Ich kaufte mir einen kleinen Stapel Bücher über Lang für meine Recherchen und verließ den Laden in der wachsenden Überzeugung, dass Rick vielleicht recht hatte: Vielleicht war ich sein Mann für den Job.
    In der Sekunde, als ich vor die Tür trat, wusste ich, dass wieder eine Bombe hochgegangen war. In der Tottenham Court Road sprudelten die Menschen aus allen vier U-Bahn-Zugängen wie Regenwasser aus einem verstopften Gullyrohr. Eine Lautsprecherstimme sagte etwas über einen »Zwischenfall im U-Bahnhof Oxford Circus«. Es klang nach einer romantisch knisternden Filmkomödie: eine Mischung aus Begegnung von David Lean und Krieg gegen den Terror. Ich ging weiter die Straße entlang und fragte mich, wie ich jetzt nach Hause käme. Wie falsche Freunde haben Taxis die Angewohnheit, sich beim ersten Anzeichen von Ärger aus dem Staub zu machen. Vor dem Fenster eines großen Elektrogeschäfts drängten sich die Menschen vor den aktuellen Nachrichten, die gleichzeitig auf einem Dutzend Bildschirmen liefen: Luftbilder vom Oxford Circus, schwarzer Rauch, der aus der U-Bahn-Station quoll, orange Flammen. Der Ticker an der Unterkante des Bildschirms sprach von einem mutmaßlichen Selbstmordattentäter, von vielen Toten und Verletzten, und gab eine Notrufnummer an. Ein Hubschrauber legte sich auf die Seite und kreiste über den Dächern. Ich konnte den Rauch riechen – eine beißende Mischung aus Diesel und geschmolzenem Plastik, die einem das Wasser in die Augen trieb.
    Für den Fußmarsch,
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