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Ghost

Titel: Ghost
Autoren: Robert Harris
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erfolgreichen Zusammenarbeit bin ich mehr sie als sie selbst. Ehrlich gesagt, macht mir dieser Teil meiner Arbeit ziemlich viel Spaß: die kurze Zeit der Freiheit, jemand anders zu sein. Falls sich das gruselig anhört, dann möchte ich hinzufügen, dass dieser Prozess echtes handwerkliches Können erfordert. Ich entlocke den Menschen nicht nur ihre Lebensgeschichte, ich verleihe ihrem Leben auch eine Form, die oft unsichtbar war. Manchmal gebe ich ihnen ein Leben, von dem sie nicht einmal wussten, dass sie es so überhaupt geführt hatten. Wenn das nicht Kunst ist, was dann?
    »Müsste ich McAra kennen?«, fragte ich.
    »Ja, müsstest du, also binde nicht jedem auf die Nase, dass du noch nie von ihm gehört hast. Er war so eine Art Berater während Langs Zeit als Premier. Reden schreiben, Politikanalyse, politische Strategie. Nach Langs Rücktritt ist McAra bei ihm geblieben, als sein Büroleiter.«
    Ich verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, Rick«, sagte ich.
    Während des Lunchs hatte ich mit halbem Auge einen älteren Fernsehschauspieler am Nachbartisch beobachtet. Als ich noch ein Kind war, hatte er es in einer Komödienserie als alleinerziehender Vater von ein paar Teenagern zu Berühmtheit gebracht. Jetzt stand er unsicher auf und schleppte sich zur Tür, als hätte er die Rolle seines eigenen Leichnams zu spielen. Das war die Sorte Menschen, deren Memoiren ich schrieb: Menschen, die auf der Berühmtheitsleiter ein paar Sprossen hinuntergefallen waren oder die noch ein paar Sprossen nach oben vor sich hatten oder die sich gerade noch an der obersten Sprosse festhalten konnten und nun verzweifelt versuchten, Kasse zu machen, solange ihnen noch die Zeit dazu blieb. Plötzlich erschien mir allein der Gedanke, einem Premierminister bei der Abfassung seiner Memoiren zu helfen, durch und durch lächerlich.
    »Ich weiß nicht ...«, sagte ich, wurde aber sofort von Rick unterbrochen.
    »Die kriegen langsam die Panik, die Leute von Rhinehart Incorporated. Die lassen morgen früh in ihrem Londoner Büro alle möglichen Kandidaten zur Kür aufmarschieren. Maddox kommt höchstpersönlich aus New York rüber, um die Interessen der Firma zu vertreten. Lang schickt den Anwalt, der den Originalvertrag für ihn ausgehandelt hat – den heißesten Strippenzieher in Washington, einen äußerst ausgebufften Burschen namens Sidney Kroll. Ich habe noch andere Autoren, die ich dafür anbieten kann; wenn du’s nicht machen willst, sag’s gleich. Aber so, wie die geredet haben, glaube ich, dass du genau der Richtige dafür bist.«
    »Ich? Machst du Witze?«
    »Nein, meine Hand drauf. Die müssen jetzt einen radikalen Schnitt machen ... Trau dich. Das ist eine Riesenchance für dich. Und die Kohle stimmt. Die Kids müssen keinen Hunger leiden.«
    »Ich habe keine Kinder.«
    »Du nicht«, sagte Rick augenzwinkernd, »aber ich.«
     
     
    *
     
    Auf den Eingangsstufen des Clubs verabschiedeten wir uns voneinander. Ein Wagen mit laufendem Motor wartete schon auf Rick. Er bot mir nicht an, mich irgendwo abzusetzen, was mich argwöhnen ließ, dass er auf direktem Weg zum nächsten Ghostwriter fuhr, um diesen mit der exakt gleichen Rede für sein Projekt zu begeistern wie mich gerade. Was ist der Sammelbegriff für eine Gruppe von Ghosts? Ein Geisterzug, eine Geisterstadt, ein Geisterschloss? Egal, Rick hatte jedenfalls schon jede Menge von uns Ghosts auf seine Bücher angesetzt. Schaut man sich einmal die Bestsellerlisten – Romane wie Sachbücher – an, würde man staunen, wie viel davon die Arbeit von Ghosts ist. Wir sind die Phantomwerktätigen, die das Verlagsgewerbe in Schwung halten, ähnlich den unsichtbaren Arbeitern in den Katakomben von Disney World. Wir wuseln durch die unterirdischen Gänge der Welt der Berühmtheiten, hüpfen hier und da ins Bild, verkleidet als dieser oder jener, und erhalten die makellose Illusion des Magic Kingdom aufrecht.
    »Bis morgen dann«, sagte Rick und war nach einem dramatischen Abgang in einer Abgaswolke verschwunden: ein Mephisto auf fünfzehn Prozent Provisionsbasis. Unentschlossen stand ich eine Minute lang da, und wenn ich mich in einem anderen Teil Londons befunden hätte, hätten die Dinge immer noch anders laufen können. Aber ich befand mich in dem schmalen Streifen, wo Soho an Covent Garden angrenzt: einer vermüllten Gegend mit leer stehenden Theatern, dunklen Gassen, Rotlicht-Etablissements, Snackbars und Buchläden – so vielen Buchläden, dass einem schon beim Anblick ganz
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