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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition)
Autoren: Elly Griffiths
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zu meinem Jungen haben, aber das war natürlich gar nicht möglich. Was habe ich an Zeit mit selbsternannten Medien verschwendet, die alle behaupteten: ‹Hier ist ein kleiner Junge, der nach seiner Mama fragt.› Lauter Betrüger, allesamt. Anfangs habe ich ihnen natürlich immer geglaubt, aber Rick hat mir klargemacht, was für Scharlatane das sind. Sie spüren deine Trauer und weiden sich daran, wie Vampire. Nein, am Ende hat mir nur geholfen, sein Grab zu finden. Damit hatte Erik wirklich recht. Wir brauchen ein Grab. Das ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.»
    «Dann hast du es also doch noch gefunden.»
    «Ja. Ich habe eine wunderbare Frau kennengelernt, Eva Klonowski, die für die ICMP arbeitet, die Internationale Kommission für Vermisste Personen. Sie ist forensische Archäologin und seit den neunziger Jahren in Bosnien. Und sie konnte mir helfen. Inzwischen setzen sie dort alle möglichen technischen Neuerungen ein – Satellitenbilder, Spektroskopie – und finden damit bis heute Knochen. Wir sind auf ein Grab gestoßen, das am passenden Ort war und aus dem passenden Zeitraum zu stammen schien. Die Leichen waren mehrfach umgebettet worden, aber Eva hat mich dabei unterstützt, eine DNA-Analyse zu bekommen. Normalerweise wird so etwas nur in besonderen Einzelfällen finanziert. Die Analyse hat ergeben, dass es tatsächlich Jakob und meine Eltern waren. Meine Eltern habe ich dort auf dem Hügel beigesetzt, aber Jakobs Überreste ließ ich einäschern und nahm sie mit nach Hause. Findest du das seltsam?»
    «Nein.»
    «Da bin ich froh, denn diese Asche ist mein größter Trost. Sie steht zu Hause in einem Kästchen auf meinem Nachttisch, und etwas davon habe ich sogar hier drin.» Sie umfasste das goldene Medaillon, das sie um den Hals trug. «Das verstehst du doch, oder?»
    Ja, Ruth hat es verstanden. Inzwischen kennt sie die grimmige Welt des Mutterdaseins ja selbst gut genug. Und sie hatte das Gefühl, an diesem Abend zum ersten Mal seit damals im Pinienhain mit Tatjana gesprochen, richtig gesprochen zu haben. Sie war froh, ihre Freundin wiederzuhaben, zumindest etwas aus den Trümmern Bosniens retten zu können. Doch am nächsten Tag ist Tatjana wieder nach Amerika abgereist, und Ruth hat keine Ahnung, ob sie sich jemals wiedersehen.
    Tatjana ist also nicht unter dem kleinen Grüppchen, das sich in der gesichtslos-modernen Kirche St. Peter und Paul versammelt hat. Auch Judy ist nicht da: Sie ist in den Flitterwochen. Vor einer Woche war Ruth bei ihrer Hochzeit, eine aufwendige Angelegenheit in einer sehr viel eindrucksvolleren Kirche. Judy sah wunderschön aus, ihr rundliches, hübsches Gesicht war atemberaubend zurechtgemacht. Draußen vor der Kirche hatten sich ihre Kollegen zum Ehrenspalier formiert, und es gab die unvermeidlichen Witzchen über Ganzkörperdurchsuchungen, Gummiknüppel und Handschellen.
    Ruth hat kaum Gelegenheit gehabt, mit Judy zu reden. Beim Hochzeitsfest in einem Vier-Sterne-Hotel wimmelte es nur so von Menschen, und so musste sie sich mit Judys Kolleginnen vom Revier begnügen. Nelson war mit Michelle gekommen, saß aber an einem wichtigeren Tisch. Er sah gelangweilt aus, nestelte an seiner Krawatte herum und schaute finster, wenn wieder mal ein Polizei-Witz gerissen wurde. Michelle dagegen sah wie immer umwerfend aus und trug genau den richtigen Hut.
    Nach dem Essen wurde getanzt. Ruth mischte sich pflichtbewusst unter die Polizistinnen, die die Tanzfläche dominierten, und absolvierte sogar einen leicht befangenen Blues mit Clough, nachdem Trace sich strikt geweigert hatte. Doch als auf «YMCA» ein Song von Kylie Minogue folgte, floh sie doch. Sie brauchte ein bisschen frische Luft und wollte kurz ihre Schuhe ausziehen. Nachdem sie diverse Türen geöffnet hatte, die allesamt in Konferenzräume führten, entdeckte sie schließlich eine Fenstertür, die auf die Terrasse hinausging. Erleichtert ließ sich Ruth auf eine Steinbank sinken, stellte dann aber überrascht fest, dass sie keineswegs allein war. An der Brüstung lehnte Judy und betrachtete die gepflegten Gartenanlagen, die sich geheimnisvoll im Mondlicht vor ihnen ausbreiteten.
    «Herzlichen Glückwunsch», sagte Ruth leicht verlegen. Was sollte man der Braut schon sonst groß sagen? Außerdem war es irgendwie nicht richtig, sie dort zu sehen, so ganz allein, in ihrem großartigen weißen Kleid. Eine Braut braucht Gesellschaft – vielleicht gibt es ja deswegen Brautjungfern, die dafür sorgen, dass sie nie
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