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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition)
Autoren: Elly Griffiths
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hält die Augen fest auf die rote Jacke gerichtet und setzt mühsam einen Fuß vor den anderen. Das Ganze erinnert sie an den Tag, als sie mit Trace bei steigender Flut den Strand überquert hat. Doch anders als Trace dreht sich Tatjana immer wieder um, ermuntert sie und redet ihr gut zu. «Los, Ruth. Du schaffst das. Du musst es schaffen. Kate braucht dich.» Und jedes Mal treibt der Name Ruth weiter voran. Du musst es schaffen. Kate braucht dich. Halb gehend, halb schwimmend bewegt sie sich voran. Craig ist nirgends zu sehen. In der Ferne kann sie Sea’s End House ausmachen, dessen Flagge lustig im Wind flattert. Wenn sie es bloß schaffen, die Landzunge zu erreichen, dann können sie um Hilfe rufen.
    Fast sind sie schon am nächsten Wellenbrecher, da taucht er auf, wie aus dem Nichts. Vielleicht hat er sich ja in einer der Höhlen versteckt. Ruth fällt wieder ein, wie gut er die Küste kennt. Jetzt stürmt er ohne ein Wort durch das schäumende Wasser auf sie zu. Ruth schreit auf.
    Er stürzt sich auf sie, drückt sie wieder unter Wasser. Ruth wehrt sich, schlägt um sich. Dann spürt sie, wie er von ihr weggezerrt wird. Bestimmt versucht Tatjana, ihr zu helfen. Sie hört Schreie, Rufe und dann noch ein Geräusch, ein lautes, mechanisches Knattern direkt über ihr.
    «Lass sie in Ruhe!»
    Ruth kämpft sich frei und schwimmt auf den Lärm zu, obwohl die Wellen plötzlich unfassbar hoch sind. Hände greifen nach ihr, ziehen sie auf den Wellenbrecher hinauf. Tatjana ist neben ihr, legt den Arm um sie. Craig ist immer noch im Wasser, doch während sie noch hinschaut, wird auch er herausgezogen. Über ihnen kreist ein Hubschrauber und wirbelt das Wasser in der Bucht zu einem Strudel auf. Und plötzlich ist Judy da und legt Craig Handschellen an.
    «Er wollte mich umbringen», sagt Ruth.
    «Ich weiß», sagt Judy. «Ich hab’s gesehen.»
    «Du hast längst nicht alles mitbekommen.»
    Neben dem Deich taucht ein Polizeiboot auf, das auf den unruhigen Wellen hüpft. Judy klettert mit Craig hinein, Tatjana und Ruth springen hinterher und landen ungeschickt im Bug. Irgendwelche Menschen hüllen sie in Aluminiumdecken und wollen ihnen heiße Getränke einflößen, doch Ruth fühlt sich mit einem Mal euphorisch und unbesiegbar. Sie fängt an zu lachen. Judy mustert sie besorgt.
    «Schon gut, Ruth. Du bist jetzt in Sicherheit.»
    Doch Ruth kann nicht aufhören zu lachen. Es geht alles durcheinander: Freude, Angst, Erschöpfung und die überwältigende Erleichterung darüber, dass sie doch nicht sterben muss. Zumindest diesmal nicht.
    Tatjana legt ihr eine Hand auf den Arm.
    «Ruth, das mit vorhin tut mir leid.»
    «Schon gut. Du hast mir das Leben gerettet.»
    «Du hast dich selbst gerettet.»
    «Wie bist du überhaupt hierhergekommen?»
    «Du hast mich angerufen.»
    «Ich habe einfach ein paar Tasten gedrückt», sagt Ruth. «Wahrscheinlich hatte ich zuletzt deine Nummer gewählt.»
    «Na ja, ich fand jedenfalls, du klangst, als könntest du Hilfe brauchen.»
    «Danke.»
    «Du hättest besser die Polizei angerufen», sagt Judy ein wenig vorwurfsvoll. Sie sitzt neben Craig, der, in seine Decke gehüllt, ins Leere starrt. Schwer zu glauben, dass er noch vor ein paar Minuten so gar nicht mehr menschlich wirkte, ein Ungeheuer, von schrecklichen Kräften beseelt.
    «Ich bin es eben gewöhnt, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen», sagt Tatjana.
    Dann sieht sie Ruth an und lächelt.

    Als Nelson die Augen wieder öffnet, liegt er in einer Art Hängematte. Der Himmel schießt gewaltig schnell dahin und ist voller Möwen, schwarz vor weiß. Plötzlich sind überall Menschen und Lichter, Geräusche wie von einem Computerspiel, Motorenlärm, ein Martinshorn, das in der Ferne verklingt.
    «Mensch, Boss! Ich dachte echt, Sie kratzen uns ab.»
    Nelson richtet die Augen auf Cloughs Gesicht. Sein Sergeant ist tropfnass, rußverschmiert und strahlt erstaunlicherweise.
    Neben ihm taucht ein weiteres Gesicht auf: freundlich, schon älter und fremd.
    «Bleiben Sie mal schön liegen, mein Freund. Übertreiben Sie’s nicht.»
    «Wo bin ich?»
    «In einem Krankenwagen, auf dem Weg ins Krankenhaus. Keine Angst, Sie werden wieder. Wir müssen Sie nur gründlich durchchecken.»
    «Wo ist Cathbad? Ich dachte, ich hätte seine Stimme gehört.»
    «Der ist nicht hier, Boss», sagt Clough. «Nur Johnson und ich waren da. Sie ist Hilfe holen gegangen, und ich habe gesehen, wie Sie ins Wasser gefallen sind. War ganz schön schwierig, Sie da wieder
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