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Gezeiten der Liebe

Gezeiten der Liebe

Titel: Gezeiten der Liebe
Autoren: N Roberts
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zweite aufgetrieben  – irgendeinen reichen Fuzzi aus seinen Regatta-Tagen  –, so daß sie in Kürze mit ihrem nächsten Projekt beginnen könnten. Keine Frage, sein Bruder würde noch das ganz große Geld anlocken.
    Sie würden es schaffen, sagte er sich, mochte Phillip auch noch so skeptisch sein.

    Er blickte zur Sonne, um abzuschätzen, wie spät es war, und musterte sorgfältig die langsam nach Osten ziehende Wolkenbank.
    »Wir laufen ein, Jim.«
    Nach nur acht Stunden auf dem Wasser war dies ein ungewöhnlich kurzer Arbeitstag. Aber Jim protestierte nicht. Er wußte, daß Ethan nicht in erster Linie wegen des nahenden Sturms den Hafen ansteuerte. »Der Junge kommt gleich aus der Schule?« fragte er.
    »Ja.« Seth war zwar selbständig genug, um nachmittags eine Zeitlang allein zu bleiben, aber Ethan wollte das Schicksal nicht unnötig herausfordern. Ein Zehnjähriger mit dem Temperament von Seth zog Ärger an wie ein Magnet.
    Wenn Cam in etwa zwei Wochen aus Europa zurückkam, würden sie sich die Aufsicht über Seth wieder teilen. Bis dahin jedoch mußte Ethan allein die Augen offenhalten und aufpassen.
    Das aufgewühlte Wasser inmitten der Bucht bot ein Spiegelbild des metallgrauen Himmels. Aber weder die beiden Männer noch der Hund zuckten mit der Wimper, als das Boot abwechselnd die steilen Wellenkämme erklomm und in die tiefen Täler hinabglitt. Simon stand mit hocherhobener Schnauze am Bug und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Ethan, der den Kutter selbst gebaut hatte, war sicher, daß er dem Sturm standhalten würde. Nicht minder zuversichtlich zog Jim sich in den Schutz der Plane zurück und zündete sich zwischen den hohlen Händen eine Zigarette an.
    Im Hafen von St. Chris wimmelte es von Touristen. Jedes Jahr im Juni strömten sie in Scharen aus den Vororten von Washington und Baltimore herbei. Ethan nahm an, daß sie St. Christopher’s mit seinen schmalen Gassen, den schindelgedeckten Häusern und den winzigen Läden wohl für malerisch hielten. Sie sahen gern zu, wie die
Krabbensammler mit flinken Fingern die Meerestiere sortierten, kosteten von den knusprigen Krebspfannkuchen und freuten sich darauf, ihren Freunden zu erzählen, daß sie sich die berühmte Krebsconsomme zu Gemüte geführt hatten. Meist stiegen sie in den kleinen Pensionen ab – St. Chris wies die stolze Anzahl von sage und schreibe vier Familienpensionen auf – und ließen in den Restaurants und Geschenkshops die Kassen klingeln.
    Ethan störten sie nicht. In den Jahren, wenn die Bucht mit ihren Schätzen geizte, erhielt der Tourismus die Stadt am Leben. Außerdem hoffte er, daß sich mit der Zeit so manch einer der Touristen mit dicker Brieftasche zu der Einsicht durchringen würde, daß ein maßgefertigtes Segelboot aus Holz sein geheimer Kindheitstraum war.
    Als Ethan am Pier anlegte, frischte der Wind noch einmal auf. Gelenkig sprang Jim von Bord, um die Leinen zu vertäuen. Seiner kurzen Beine und seines untersetzten Körpers wegen erinnerte er an einen Frosch – einen Frosch, der in weißen Gummistiefeln und mit einer ölverschmierten Baseballmütze auf dem Kopf an Land stakste.
    Auf ein Handzeichen von Ethan ließ sich Simon auf dem Deck nieder, um zu warten, bis die Männer den Fang ausgeladen hatten. Über ihm flatterte die grüne, von der Sonne ausgebleichte Plane in der Brise.
    Als Ethan den Kopf hob, entdeckte er Pete Monroe, der zielstrebig auf ihren Anlegeplatz zukam. Sein stahlgraues Haar war unter einem verbeulten breitkrempigen Hut verborgen; sein stämmiger Körper steckte in einer ausgeleierten Khakihose und einem rotkarierten Hemd.
    »Erstklassiger Fang, Ethan.«
    Ethan lächelte. Er mochte Mr. Monroe recht gern, obgleich es hieß, daß er ein notorischer Geizhals sei und das ›Monroe’s Crab House‹, die Fabrik, in der die Krebse sortiert und verarbeitet wurden, mit eiserner Hand regiere. Aber welcher Unternehmer, der auf sich hielt, gab sich
schon mit dem Erreichten zufrieden und versuchte nicht, immer noch mehr Profit herauszuschlagen?
    Ethan schob sich die Mütze aus der Stirn und kratzte sich am Nacken, wo ihn feuchte Haare und Schweißtröpfchen kitzelten. »Ja, wir können wirklich zufrieden sein.«
    »Ihr seid heute früh zurück.«
    »Ein Sturm zieht auf.«
    Monroe nickte. Seine Angestellten, die draußen unter den gestreiften Markisen gearbeitet hatten, zogen sich allmählich ins Innere der Fabrik zurück. Der Regen würde bald auch die Touristen von der Straße vertreiben; sie
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