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Gewitter der Liebe

Gewitter der Liebe

Titel: Gewitter der Liebe
Autoren: Sarah Lee Hawkins
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arbeiteten im selben Nähsaal, atmeten dieselbe trockene Luft ein und schwitzten im Hochsommer um die Wette.
    Trotz des niedrigen Lohnes arbeitete Julia gewissenhaft, denn sie hoffte, es eines Tages zu schaffen, an einer Nähmaschine sitzen zu dürfen; Lilly hingegen dachte gar nicht daran, irgendwann einmal bei Barclay & Wilson einen besseren Posten zu bekommen.
    Julia fuhr erschrocken zusammen, als sie sich an der Schulter gerüttelt fühlte.
    »Mittagspause, du Träumerin!« Lachend stand Lilly neben ihr und schwang ihr bescheidenes Lunchpaket. »Die anderen gehen in den Hof wegen des schönen Wetters.«
    Erleichtert legte Julia das Hemd beiseite, nahm ihr Mittagessen, das wie meistens aus einer Scheibe altbackenem Graubrot bestand, welches mit einer dünnen Schicht Schweineschmalz bestrichen war, und folgte Lilly hinaus. Den Arbeiterinnen war es verboten, ihr Haar offen zu tragen; sie mussten es unter schmucklosen grauen Kopftüchern verbergen. Trotzdem sah Lilly damit gut aus, während sich Julia wie eine graue Maus fühlte.
    Auf dem Innenhof der Fabrik, in einer sonnigen Ecke, standen bereits einige Frauen und reckten ihre Köpfe mit geschlossenen Augen sehnsüchtig der Sonne entgegen. Der Winter an der Ostküste war lang und hart gewesen, und alle genossen die ersten Sonnenstrahlen.
    Julia und Lilly gesellten sich zu den anderen Arbeiterinnen und nahmen ihr bescheidenes Mahl ein. Eine ältere Frau hatte eine Tageszeitung ergattert, die ihr Vorarbeiter achtlos nach dem Lesen weggeworfen hatte.
    »Mädels, hört mal zu!«, rief sie, um sich Gehör zu verschaffen. »Hier steht ein großer Bericht über Kalifornien. Ihr wisst schon, dort wurde Gold gefunden!«
    Die meisten Frauen wandten sich gelangweilt ab, denn ihr einziges Interesse galt der Sorge, sich ausreichend ernähren zu können.
    Aber Julia und Lilly reckten die Hälse. Schon mehrmals hatten sie von den sagenhaften Goldfunden gehört, die im Frühjahr 1848 im Abflusskanal einer Sägemühle namens Sutter’s Mill gefunden worden waren. Aber erst später machte die Neuigkeit ihre Runde und gelangte zur Ostküste, wo sie teils mit müdem Lächeln, teils jedoch mit großem Interesse aufgenommen worden war. Daraufhin war ein regelrechter Rausch ausgebrochen; junge Männer verließen ihre Heimat, um ihr Glück in Kalifornien zu versuchen. Sie erreichten ihr Ziel, indem sie mit Schiffen über die Landenge von Panama oder um Kap Hoorn herum fuhren. Nicht jedes Schiff erreichte die Westküste, so manchem waren die Naturgewalten am Kap zum Verhängnis geworden.
    »Hier steht, dass ein Treck geplant ist, der quer über den Kontinent nach Kalifornien ziehen will«, las die Frau ungefragt weiter vor. »Stellt euch das mal vor – sie wollen durch die Wildnis ziehen, anstatt den Seeweg zu nehmen, sehr mutig!«
    Lilly lehnte sich an die Gebäudemauer und seufzte. »Wie mag es wohl in Kalifornien sein? Ich hörte, dass es dort immer warm sein soll und die Obstbäume voller Früchte sind – und es soll dort exotische Blumen wie im Orient geben.«
    Die Frau mit der Zeitung nickte. »Und es soll Rinderherden geben, die bis zum Horizont reichen.«
    »Ein Land, in dem Milch und Honig fließen«, warf ein junges Mädchen mit träumerischer Miene ein. »Und dann noch das ganze Gold in den Flüssen!«
    Während Julia sich etwas abseits hielt, gesellte sich Lilly zu den anderen. »In Kalifornien ist das Goldfieber ausgebrochen, las ich neulich. Wusstet ihr, dass San Francisco früher nichts als eine Mission von Franziskanermönchen gewesen ist?«
    Die meisten wussten es nicht.
    »Wegen der Nähe zum Pazifik hatte man dort einen Handelsposten eingerichtet.« Lillys ansonsten makelloses Gesicht wies vor Aufregung winzige rötliche Flecken auf. »Die Stadt wächst ständig, immer mehr Menschen lassen sich dort nieder.«
    Die Frau mit der Zeitung blätterte hektisch, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. »Hier.« Sie hielt das Blatt in die Höhe, sodass es jeder sehen konnte – die Annonce einer Reederei, die eine Schifffahrt nach Kalifornien anbot, für neunzig Dollar pro Person.
    »Willst du etwa mitfahren, Claire?«, fragte eine andere Frau, worauf die gesamte Gesellschaft in amüsiertes Lachen ausbrach.
    Beleidigt warf Claire die Zeitung auf den Boden. »Ja, lacht nur. Hätte ich nicht Mann und Kinder – und das nötige Geld –, würde ich auswandern. Gerade Frauen sind dort Mangelware, fleißige Arbeiterinnen, die viel mehr verdienen als hier. Immer wieder erscheinen
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