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Gewitter der Liebe

Gewitter der Liebe

Titel: Gewitter der Liebe
Autoren: Sarah Lee Hawkins
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meisten Männer dort waren einfache Arbeiter aus den umliegenden Fabriken, aber Bill trug einen guten Anzug, und er verfügte über einen ordentlichen Durst. Ich selbst habe nur an meinem Wein genippt, denn ich wollte einen klaren Kopf behalten.«
    Während des Erzählens legte Lilly ihre Kleidung ab und schlüpfte in ihr fadenscheiniges Nachthemd, um danach schnell unter die Decke zu kriechen. »Irgendwann hatte Bill genug gewonnen und machte Anstalten, die Bar zu verlassen – und da kam meine Stunde. Ich wartete, bis Bill sein gewonnenes Geldbündel in die Hosentasche steckte und bot ihm augenzwinkernd meine Begleitung an.«
    »Lilly!«
    »Er nahm mein Angebot sofort begeistert an.« Lilly kicherte. »Draußen schmiegte ich mich eng an ihn, während er nach einer Droschke Ausschau hielt, und säuselte ihm ins Ohr, dass ich noch nie einen so gut aussehenden Mann wie ihn kennengelernt hätte. Bill war sehr betrunken, doch er lächelte geschmeichelt. Ich stand absichtlich an jener Seite, an der er das Geld verwahrte. Fieberhaft überlegte ich, wie ich Bill bestehlen konnte, ohne ihm zu Willen sein zu müssen, doch da kam mir der Zufall zu Hilfe: Bill taumelte plötzlich, griff nach dem neben ihm stehenden Laternenpfahl und sank in die Knie. Zuerst dachte ich, sein Herz hätte aufgehört zu schlagen, doch dann bemerkte ich, dass er eingeschlafen war!«
    Obwohl Julia wegen Lillys Leichtsinn ärgerlich war, musste sie an dieser Stelle lachen. »Den Ausgang der Geschichte kann ich mir sehr gut vorstellen.«
    »Weil ich ein wohlerzogenes Mädchen bin, versuchte ich Bill zu wecken, doch er kniete weiterhin am Laternenpfahl und fing auch noch an zu schnarchen. Um uns herum war alles ruhig, nur aus dem Blue Wonder klangen Musik und Männergelächter. Und bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, griff ich flink in Bills Hosentasche, zog die Geldscheine heraus und rannte wie der Teufel nach Hause.« Sie zeigte triumphierend auf das Geld, das noch immer auf Julias Bettdecke lag. »Es sind über hundert Dollar; das weiß ich, weil Bill in der Bar das Geld laut gezählt hat, bevor er es einsteckte.«
    »Hoffentlich erfriert Bill nicht«, sagte Julia halbherzig. »Die Nächte sind noch recht kalt.«
    »Mach dir keine Sorgen, in dieser Straße haben alle Etablissements bis morgens geöffnet; irgendjemand wird sich seiner schon annehmen. Sein Gesicht möchte ich sehen, wenn er aufwacht und feststellt, dass sein Geld fort ist.«
    Julia fand die Sache weniger spaßig. »Er könnte zur Polizei gehen und dich anzeigen. Hast du daran schon mal gedacht?«
    »Das wird er nicht, davon bin ich überzeugt. In der Bar war es schummrig, er konnte mein Gesicht wahrscheinlich gar nicht richtig erkennen. Außerdem nannte ich mich Rosie, und er war sehr betrunken. Jedermann, der Bill dort schlafend am Laternenpfahl entdeckt, könnte theoretisch der Dieb sein. In dieser Gegend macht sicher jeder lange Finger, wenn er die Möglichkeit dazu hat.« Herzhaft gähnte Lilly. »Nun lass mich ein paar Stunden schlafen. Du kannst das Geld inzwischen bündeln und zwischen unserer Wäsche verstecken.«
    Mit einem Satz war Julia aus dem Bett, griff mit bebenden Fingern die Dollarscheine und ordnete sie zu einem Stapel. Ein Stück Schnur diente als Banderole, dann wanderte der unerwartete Reichtum zwischen Unterwäsche und Strümpfe.
    Lilly schlief bis Mittag. Der Lärm in der Wohnung der polnischen Familie unter der Mansarde konnte sie nicht stören. Julia hingegen hatte nicht mehr schlafen können; sie war zeitig aufgestanden, hatte ein Stück Brot gegessen und stundenlang auf die Kommode gestarrt, als hätte sie Angst, der Geldsegen könnte sich eigenhändig davonstehlen.
    Schön, nun hatten sie genug Geld. Doch wie sollte es weitergehen? Darüber zerbrach sich Julia stundenlang den Kopf. Mitleid mit dem bestohlenen Bill hatte sie nicht, und richtig böse konnte sie Lilly auch nicht länger sein. Hätte sie den Wochenlohn eines schwer arbeitenden Familienvaters gestohlen, wäre das etwas anderes gewesen, aber Glückspiele und Wetten waren kein ehrlich verdientes Geld. Und wenn dieses Geld der Grundstein zu einem neuen Leben wurde – dann sollte es wohl so sein.
    Später, nachdem Lilly erfrischt aufgestanden war, weihte sie ihre Freundin in das weitere Vorgehen ein. »Morgen früh gehen wir zur Fabrik, kündigen und lassen uns unseren restlichen Lohn auszahlen«, sagte sie. Im Gegensatz zu den meisten Arbeitgebern im Fabrikviertel zahlte Barclay &
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