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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt
Autoren: Steven Pinker
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umweltbedingten Wandlungen: Veränderungen der historischen Umstände, die das immergleiche Wesen der Menschen auf unterschiedliche Weise in Anspruch nehmen.
    Fünf historische Kräfte
(Kapitel 10 ): Im letzten Kapitel bemühe ich mich darum, die psychologischen und historischen Aspekte zusammenzuführen. Ich nenne äußere Kräfte, die unsere friedlichen Motive begünstigen und den Rückgang der Gewalt in mehrfacher Hinsicht vorangetrieben haben. Der Leviathan, ein Staat und eine Justiz mit einem Monopol auf die legitime Anwendung von Gewalt, kann die Verlockung ausbeuterischer Angriffe, den Racheimpuls und die eigennützigen Voreingenommenheiten entschärfen, aufgrund deren alle Parteien glauben, sie seien aufseiten der Engel.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
ist ein Positivsummenspiel, in dem alle gewinnen; wenn technologischer Fortschritt den Austausch von Waren und Gedanken über immer größere Entfernungen und unter immer größeren Gruppen von Handelspartnern ermöglicht, sind andere Menschen im lebenden Zustand wertvoller, als wenn sie tot sind, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie zum Ziel von Dämonisierung und Entmenschlichung werden, sinkt. Durch den Prozess der
Feminisierung
respektieren die Kulturen zunehmend die Interessen und Werte von Frauen. Da Gewalt im Wesentlichen ein Zeitvertreib der Männer ist, entfernen sich Kulturen, die den Frauen mehr Macht geben, in der Regel von der machohaften Verherrlichung der Gewalt, und es besteht eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass sie gefährliche Subkulturen aus entwurzelten jungen Männern hervorbringen. Bildung, Reisen, Massenmedien und andere Kräfte des
Weltbürgertums
können zum Anlass werden, sich in Menschen hineinzuversetzen, die anders sind als man selbst, und den Geltungsbereich des eigenen Mitgefühls auch auf sie zu erweitern. Und schließlich kann eine zunehmende Anwendung unserer Kenntnisse und Rationalität auf menschliche Angelegenheiten – die
Beförderung der Vernunft
 – die Menschen zu der Erkenntnis zwingen, dass Kreisläufe der Gewalt nutzlos sind, dass man die Bevorzugung der eigenen Interessen auf Kosten anderer am besten aufgibt und dass man Gewalt in einem neuen Rahmen betrachtet: als Problem, das es zu lösen gilt, nicht aber als Wettbewerb, den man gewinnen muss.
    Wenn man erkennt, dass die Gewalt zurückgeht, sieht die Welt plötzlich anders aus. Die Vergangenheit wird weniger harmlos, die Gegenwart weniger düster. Man beginnt, die kleinen Geschenke des modernen Miteinander zu schätzen, die unseren Vorfahren utopisch erschienen wären: die gemischtrassige Familie, die im Park spielt; den Kabarettisten, der mit seiner Pointe auf den Oberbefehlshaber des Militärs zielt; die Staaten, die vor einem Konflikt zurückschrecken, statt in den Krieg zu ziehen. Der Unterschied liegt nicht in der Selbstzufriedenheit: Wir freuen uns über den Frieden, den wir heute vorfinden, weil die Menschen früherer Generationen sich zu ihrer Zeit von der Gewalt abgestoßen fühlten und daran gearbeitet haben, sie zu beenden. Ebenso sollten wir selbst daran arbeiten, die abstoßende Gewalt zu vermindern, die auch in unserer Zeit noch geblieben ist. Eine Wertschätzung für den Rückgang der Gewalt ist auch eine Bestätigung dafür, dass solche Bemühungen sich lohnen. Die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen war lange das Thema moralischer Belehrungen. Mit dem Wissen, dass irgendetwas sie zurückgedrängt hat, können wir sie auch als Angelegenheit von Ursache und Wirkung behandeln. Statt zu fragen: »Warum gibt es Krieg?«, können wir auch fragen: »Warum gibt es Frieden?« Wir brauchen uns nicht nur in die Frage hineinzusteigern, was wir falsch gemacht haben, sondern wir können uns auch fragen, was wir richtig gemacht haben. Denn wir haben
tatsächlich
etwas richtig gemacht, und es wäre gut zu wissen, was das genau ist.
     
    Man hat mich oft gefragt, wie ich dazu gekommen bin, die Gewalt zu analysieren. Eigentlich ist das kein Rätsel: Gewalt ist von Natur aus ein Thema für jeden, der sich mit dem Wesen des Menschen beschäftigt. Dass sie zurückgeht, erfuhr ich erstmals aus
Homicide
von Martin Daly und Margo Wilson, einem klassischen Werk der Evolutionspsychologie. Darin erörtern die Autoren den hohen Anteil der gewaltsamen Todesfälle in nichtstaatlichen Gesellschaften und den Rückgang der Morde vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ich habe diesen Abwärtstrend in mehreren Büchern zusammen mit humanitären Entwicklungen wie
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