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Geteiltes Geheimnis

Geteiltes Geheimnis

Titel: Geteiltes Geheimnis
Autoren: L. Marie Adeline
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einem gewissen Alter sagen konnte.
    Ich schüttelte den Gedanken an damals ab und beobachtete, wie Elizabeth ein gelbes Nest aus gekräuselten Papierstreifen schuf. Das Faschingsfest Mardi Gras war vorüber, jetzt rüsteten wir uns für Ostern. Gestern hatte ich mich nach Ideen für ein Thema umgesehen und heute sah ich, dass Elizabeth sich auf ein recht ungewöhnliches konzentrierte. Ich klopfte ans Fenster und zog eine Grimasse. Was soll das denn werden? , formte ich mit den Lippen.
    »Was hast du denn so früh hier zu suchen, Dauphine? Du hast erst nachmittags Dienst!«, schrie sie durch die Fensterscheibe hindurch.
    »Ich habe doch versprochen, dich zu stylen. Für dein Date heute Abend.«
    Sie riss die Augen auf. »Stimmt!«
    »Was hast du vor?«, rief ich und deutete mit einer weiten Handbewegung auf den Haufen Beine und Arme von Schaufensterpuppen.
    »Korsetts!« Elizabeth hielt eine Handvoll Spitzen und Bänder in die Höhe.
    »Okay. Ich verbinde Ostern auch automatisch mit Unterwäsche.«
    Die vorbeilaufenden Passanten blieben stehen und starrten die beiden Frauen an, die einander über BH s und eine fast nackte Schaufensterpuppe hinweg durch die Scheibe anschrien.
    Elizabeth pflückte altmodische weiße Playboyhasenohren aus einer Tasche und hielt sie einem pinkfarbenen Teddy an. »Sieh mal, wie süß!«
    Wenn man gute Leute an sich binden will, muss man ihnen von Zeit zu Zeit freie Hand lassen, pflegte mein Dad früher zu sagen. Ich musste darauf vertrauen, dass Elizabeth wieder mal ein Schaufenster kreieren würde, das den Autoverkehr zum Erliegen brachte. Hindere sie nicht daran. Lass sie machen . Ich hielt halbherzig die Daumen in die Höhe.
    Mir knurrte der Magen. Ich hatte das Frühstück ausgelassen. Wir hatten eine große Lieferung aus einer Haushaltsauflösung bekommen, die wir uns schwer erkämpft hatten, und ich wollte die Kisten selbst durchgehen, bevor wir das Geschäft öffneten. Also schloss ich den Laden auf. Am Ladentisch betrachtete ich mein Outfit in dem Ganzkörperspiegel: ein dunkelblaues A-Linien-Kleid, das vorn zugeknöpft war. Es stammte etwa aus den späten Sechzigern und hatte einen integrierten BH , einen passenden Gürtel, einen Unterrock und Dreiviertelarm. Dazu trug ich Schuhe mit Kitten-Heel-Absatz. Mein rotes Haar war zu einem Knoten geschlungen, aus dem sich durch die feuchte Luft schon ein paar gekräuselte Strähnen gelöst hatten. Außerdem hatte ich eine große, dunkle Sonnenbrille à la Jackie O auf. Es war zugegebenermaßen etwas warm für dieses Kleid, aber solche Dinger wurden heutzutage gar nicht mehr hergestellt – was meine Mutter erfreute und ich, natürlich, bedauerte. Aber seit wann trug ich so hochgeschlossene, lange Kleidung, und seit wann waren meine Sonnenbrillen so groß? Wer braucht schon acht Jahre, um über einen Mann hinwegzukommen?
    Elizabeth war immer noch im Fenster beschäftigt, und im Laden herrschte Ruhe, also suchte ich in meiner Tasche nach dem Mittagessen. Mist! Ich hatte es auf der Küchenablage liegen gelassen. Kunden durften in meinem Laden nichts essen oder trinken, aber ich nahm sämtliche Mahlzeiten auf der Trittleiter hinter der Kasse ein. Verdammt, ich würde also auch den Lunch auslassen und üppig zu Abend essen.
    Ich zerrte die kleinsten Kisten aus der Haushaltsauflösung an den Ladentisch. Die erste war voller Accessoires, Elizabeths Spezialität, also schob ich sie mit dem Fuß wieder beiseite. In der zweiten Kiste befanden sich jede Menge mädchenhafter Sommerkleider, Strohhüte (ekelhaft) und Ballerinas. In den nächsten Wochen würde ich mich um mein Sommerkleidrepertoire nicht kümmern müssen, aber mir stach ein dunkelgrünes, rückenfreies Kleid aus den Siebzigern ins Auge. Bei dem ungewöhnlichen Stoff handelte es sich um Crêpe. Das Kleid war hübsch gefüttert und bodenlang. Am Saum war es ausgefranst. Ich konnte es auf Knielänge kürzen und einen guten Preis dafür erzielen. Oder sollte ich es für mich behalten? Und meine Arme zeigen? Keine Chance. Aber es war so hübsch, dieses Grün, und zu meinem roten Haar … Ich legte es auf den »Behalten«-Stapel, der mittlerweile größer war als der »Verkaufen«-Stapel. Warum tat ich das? Dinge für eine imaginäre Zukunft oder einen imaginären Kunden horten, der es wirklich zu schätzen wusste, wenn er Gelegenheit dazu hatte?
    »In unserem Hinterzimmer sollten wir ein vollkommen anderes Sortiment anbieten«, hatte Elizabeth einmal gesagt. »Bessere Sachen als vorne.«
    In
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