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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Autoren: Colin Harvey
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Nanos durchsetztem Gel zum Vorschein. Karl zögerte einen Moment lang, riss sich dann zusammen und schob sich in das Gel hinein, das sich sofort um ihn schloss. Er spürte, wie sich der geistlose und gleichzeitig intelligente Glibber mit seiner Haut verband und ihm schleimige Finger tief in die Nasenlöcher, die Ohren, den Anus und sogar in die Harnröhre schob. Der Intellekt der Masse überstieg kaum den einer Amöbe, aber sie war darauf programmiert, in ihn hineinzukriechen und ihn mit einer zweiten Haut zu umschließen, und das tat sie mit erbarmungsloser Zielstrebigkeit. Karl hatte diese Prozedur bereits unzählige Male durchgestanden und sich dabei immer äußerst unbehaglich gefühlt.
    »Wozu sollten sich Terraformer einen Planeten mit derart ungünstigen Voraussetzungen aussuchen?« Eigentlich interessierte ihn das Thema im Moment nicht übermäßig, aber es lenkte ihn immerhin davon ab, an das Gel oder – schlimmer noch – die brodelnde Masse superheißen Plasmas zu denken, die mit einer Geschwindigkeit von einer Viertelmillion Kilometern pro Sekunde auf das Schiff zuraste. Er kämpfte gegen das zunehmende Panikgefühl an, während sich das Gel tiefer in ihm ausbreitete. Es kostete ihn eine Menge Überwindung, den Mund zu öffnen und den Schleim in seine Lungen eindringen zu lassen. Das Gel bildete eine undurchdringliche Schicht über seinen Augäpfeln, und als der Film durchscheinend wurde, sodass er den Schalter zum Öffnen der Außenschleuse sehen konnte, wusste er, dass der Prozess abgeschlossen war. Die glitschige Masse hatte ihn mit einer geschmacklosen und geruchlosen Hülle überzogen, die sein empfindliches Fleisch sicher vor dem Vakuum des Weltraums abschirmte.
    »Mit hohem Aufwand hätte es ein lohnendes Projekt werden können«, beantwortete das Schiff seine Frage. »Was die Terraformer nicht vorhergesehen haben, war der kommende Krieg. Das tun sie nie. Und das hat alles verändert.«
    Aus den Eingeweiden des Schiffes stieg ein dumpfes Grollen auf, das Karl mehr fühlte als hörte, als die Eindämmungsfelder, die das Neutronium umgaben, schwächer wurden und das Raumschiff zu zerreißen begannen.
    »Ich muss dich jetzt verlassen!«, rief er dem Schiff zum Abschied zu.
    »Ich habe das gesamte Lebenserhaltungsgel in Hangar acht gedrückt«, erwiderte das Schiff.
    Bevor Karl es fragen konnte, wozu es das getan hatte – das zusätzliche Gel würde ihm keinerlei Vorteile bringen –, öffnete sich die kleiderschrankgroße Luftschleuse. Die explosionsartig entweichende Atmosphäre schleuderte ihn ins All hinaus, und da verstand er. Das überschüssige Gel verlieh ihm zusätzlichen Schub, und als er Hals über Kopf kreiselnd durch das Vakuum trieb, segnete er stumm sein kluges, fürsorgliches Schiff.
    Karl zählte im Geist die Zeit ab und fand so heraus, dass er sich alle sechs Sekunden einmal überschlug. Das Lebenserhaltungsgel verdunkelte sich, um seine Augen zu schützen, und jedesmal, wenn das gleißende Mizar-Sternenquartett durch sein Blickfeld rotierte, sah er die Sonnen in türkisblaues Licht getaucht. Sobald er den Blick von den Sonnen abwandte, wurde das Gel wieder klarer.
    Obwohl es ihn mit einem perfekten Film vor dem Vakuum schützte, konnte Karl nicht verhindern, dass sich seine Brust unablässig hob und senkte; das von ihm ausgeatmete Kohlendioxid wurde von dem Schleim absorbiert und teilweise zu einem Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch in Form einer nur wenige Mikrometer durchmessenden Pufferschicht zwischen seiner Lunge und der Gelmembran umgewandelt.
    Er wusste nicht, wie lange er bereits beschleunigte, als die Stimme des Schiffes erneut in seinem Kopf aufklang. »Karl, es gibt da noch etwas, das ich dir sagen sollte. Die Ozonschicht des kolonisierten Planeten scheint …« Übergangslos verstummte die Stimme wieder.
    Obwohl Karls Gesicht gerade von den Sonnen abgewandt war, verdunkelte sich die Membran plötzlich wieder. Dann spürte er einen Schlag im Rücken – trotz der Tatsache, dass das Gel eigentlich jegliche kinetische Energie absorbieren sollte –, vermutlich hervorgerufen durch den Aufprall eines Fragments des explodierten Raumschiffs.
    Auch wenn es sich bei dem Schiff lediglich um eine semiorganische Maschine gehandelt hatte, war es ihm manchmal näher als eine Geliebte gewesen, und so weinte er um den Verlust.
    Später, nachdem seine Tränen versiegt waren, schlief er ein. Es war ein unruhiger Schlaf, der nicht so sehr der Erschöpfung geschuldet war, ihm aber half, alles
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