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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Autoren: Mairisch
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die ist aber auch wirklich groß für eine Frau, sie ist so groß wie mein Vater oder größer noch.
    Wie der kleine Junge zwitschert mit seiner kleinen Stimme, erinner ich mich, wie wenn er ein Vogel ist. Und er hat feuchte Lippen, weil er ein bisschen sabbert, wie ein Hund, so klein ist der noch. Man kann ihn gut schubsen, der kleine Junge kann schon ganz gut laufen.
    »Glaub, der kleine Junge denkt, sein Vater ist ein Vogel«, sage ich.
    »Machst du bitte mit, Henning«, sagt Frau Heinsohn und ich nicke. »Was war Hausaufgabe?«, fragt Frau Heinsohn.
    »Was ich angerichtet habe«, sage ich und Frau Heinsohn sagt »Richtig, also« – und Herr Kornberger lacht kurz mit der linken Seite vom Mund und guckt weg und sagt gegen das Fenster, aber eigentlich zu Frau Heinsohn, der Riesin, »Na ja, also, so richtig richtig ...«
    »Mann, drüber nachdenken war Hausaufgabe«, sage ich, »was ich angerichtet habe.«
     
    »Jetzt richten wir was an«, sage ich immer, wenn ich Tischdienst habe, das wechselt jede Woche, man ist immer zu dritt, alle vier Wochen. Decken und abdecken und abwischen. Wenn wir decken, sage ich immer »Was wir jetzt wieder anrichten!« Das ist ein Witz, weil man zu decken und abdecken auch anrichten sagt, oder wenn man gekocht hat, aber ich kann nicht kochen.
    Frau Heinsohn findet das witzig: »Das ist ja richtig witzig, Henning«, hat sie gesagt, »du hast ja richtig Humor.«
    »Scheißwitz, echt«, sagt Adam und Torben nickt und sagt »Halts Maul«, nur weil sie keinen Humor haben. Und deshalb haben sie mir gestern eine verpasst, aber richtig, Adam und Torben, zu zweit, zusammen gegen einen, das ist feige, da hatte ich gar keine Chance. Ich bin kein Schwachpisser, mal im Ernst, hej, alles, aber bestimmt kein Schwachpisser, ich kann Schwachpisser echt nicht ausstehen, also auf jeden Fall hat Torben mich festgehalten und Adam hat gekloppt, nur weil sie keinen Humor haben.
    »Noch einmal«, haben sie gesagt und meinen Kopf gegen den Bettpfosten geschlagen. Das Auge, davon ist es so blau, ich sehe aus wie ein Verbrecher, echt. »Noch einmal deinen Scheißwitz und du bist richtig im Arsch.«
    Nur weil sie keinen Humor haben. Aber die beiden sind sowieso dumm im Kopf, die gehen auf die Sonderschule mit den Behinderten, echt, kein Wunder, dass die keinen Humor haben, hej.
    Wie wir so gelaufen sind, hab ich immer gesagt »Jetzt links und jetzt rechts«, ich habe hier die Befehle gegeben, ich hab dem kleinen Jungen gesagt »Steck den Finger in die Scheiße und leck da dran«, und der kleine Junge hat geweint und ich hab seine Hand genommen und so gequetscht, so doll wie ich konnte, und der kleine Junge hat geschrien und ich habe gesagt »Wenn du noch mal schreist, dann schneid ich deine Zunge ab, die wächst nicht nach.« Und der kleine Junge hat seinen Finger in die Hundescheiße gesteckt und geleckt und geweint.
     
    Ich baue einen Panzer heute und kein Lebkuchenhaus, logischerweise. Man macht immer Sachen, damit die anderen nicht drauf kommen. Sie wollen den Kindern in den Kopf gucken in Haus Hirte Heim für gestörte Kinder. Darum geht es und deshalb muss man alles machen, was keinen Sinn macht, um die Betreuer zu verarschen. So ist das ganze Leben hier, man macht was, damit keiner wissen kann, was man wirklich machen würde, wenn einem keiner immer zugucken würde bei allem. Ich baue also einen Panzer aus den Lebkuchenplatten, ich klebe zwei aufeinander und stecke einen Buntstift rein und sage: »Fertig, Panzer!«, damit sie denken, Henning denkt, ein Panzer ist ein Haus, Henning denkt, man kann in einem Panzer wohnen und Krieg spielen und alles kaputt machen, Henning spielt zu viel Computerspiele, der ist ein wirklich gestörtes Kind. Frau Heinsohn klatscht einmal mit den toten Fischen und sagt »Henning ist der Erste«, und Herr Kornberger nickt und guckt aus dem Fenster und gähnt und dann sagt er: »Da hat sich aber einer richtig Mühe gegeben.« Scheißwitz, finde ich, man sollte Herrn Kornberger mal richtig eine verpassen.
     
    Das ist kein großes Geheimnis, man nimmt ein Wort, irgendeins, zum Beispiel liebt , und dann nimmt man noch das genaue Gegenteil, hasst , und tut sie in einen Satz zusammen, und man hat eine Antwort, die immer passt. Man liebt so lange, bis man hasst. Das geht mit echt vielen Worten und stimmt fast immer, wirklich, und das ist gar nicht schlecht, wenn man mal nicht weiß, was man sagen soll oder um einen verrückt zu machen. Man ist so lange weg, bis man wieder da ist. Oder
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