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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Autoren: Mairisch
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Schwächling, also Schwachpisser, meint Frau Heinsohn. Man ist so lange stärker, bis man schwächer ist.
     
    Und das habe ich erzählt, das wusste keiner noch nicht, das hat der kleine Junge niemandem erzählt, weil er Angst hatte, dass ich seine Mutter wirklich töte, dass ich seinen Pimmel in den Mund genommen habe. Und alle haben geguckt wie leere Schubladen hier in Haus Hirte Heim für gestörte Kinder. Das war unsere Weihnachtsfeier. Frau Heinsohn hat gesagt: »Wer noch mal aufsagt, der kriegt das Geschenk zweimal.« Und Adam durfte noch mal, ... nun sprecht, wie ich’s hier innen find, sinds gute Kind, sinds böse Kind, dann Geschenke, für alle eins, für Adam zwei und für mich keins, aber drauf geschissen, es gab Schokoladenweihnachtsmann und Schokoladenkugeln, manche mit Ekelfüllung, die hab ich von allen geschenkt bekommen, sogar von Adam und Torben, weil ich so ne coole Geschichte erzählt hab.
    »Barmherzig«, hat Frau Heinsohn gesagt, sie meinte die anderen, dass sie mir was abgeben von der Schokolade, dabei hab ich nur die mit Eierpunsch und Mint gekriegt, die wären eh im Müll gelandet. Es sollte ein Witz sein, glaube ich, Frau Heinsohn hat so geguckt, wie wenn sie einen Witz macht, aber Herr Kornberger hat nicht gelacht, der hat nur mit den Augen geklimpert und was in seiner Jackentasche gesucht und nichts gefunden, nur ein altes Taschentuch, ich glaube, Herr Kornberger hat keinen Humor mit Frau Heinsohn, ich glaube, der hat nur Scheißwitze auf Lager, so wird das nichts. Also habe ich gelacht und gesagt: »Pimmellutschen.« So, jetzt ist es raus, man hat so lange ein Geheimnis, bis man es verrät.

Sie hat den Herbst gewonnen
    Herbst. Allein das Wort. Den fang ich immer mit Geburtstag an. Herbst, dagegen ist Frühling Magerquark. Na klar, die Wolken, das Grau, ja, der Regen. Aber auch die satten Äpfel, die man auf Märkten suchen geht und die die Vorjahreszeit in sich aufgespeichert haben, die man sich jetzt würzig und süß in den Kopf beißen kann. Herbst, das ist die Sommerernte. Im Herbst sitzen, Beine auf dem Tisch und den Gaumen voll Spätsommer.
     
    »Halt mal das Maul und mach die Nase auf«, sagt Svana. Wir sitzen am Ufer eines langweiligen Kanals. Ich hab irgendwie das Gefühl, nur weil sie heut Abend wieder fährt, ich müsste mehr erzählen als sonst. Die Zeit nutzen, so ein Schwachsinn. »Halt dein Maul und iss den Apfel auf. Wir machen jetzt Weitwurf und ich will, dass du mich gewinnen lässt.«
    »Na gut«, sag ich.
    »Du fängst an«, sagt sie, »und wer weiter kommt, dem gehört der Herbst, einverstanden?«
    Ich nicke und gehe ein paar Schritte zurück und verbiege mir die Arme, renne los und schrei dabei: »Herr Jonathan Wolf am Abwurf!«
    Und wie immer findet mein Apfelrest nicht den richtigen Winkel, wie immer klatscht er ins Wasser, wie immer weniger als fünfzehn Meter weit. Ich kenne das und Svana auch. Svana, die mit dem breiten Kreuz, die Schwimmerin, die jetzt ausholt und aus dem Stand auf das andere Ufer wirft.
    »Merci«, sagt sie und dreht sich zu mir um. »Fängt gut an, der Herbst«, lacht sie, »gefällt mir.«
    »Heute fängt der Herbst an«, das hat sie schon morgens gesagt, als sie mich abgeholt hat zur Arbeit.
    »Quatsch«, hab ich geantwortet, »Herbst ist erst nächste Woche, ab dem dreiundzwanzigsten September.«
    »Du wieder!«, hat sie geschnaubt und beide Arme in die Höhe gerissen und über ihren Kopf gehalten. »Mal in den Himmel geguckt? Das ist ja wohl Herbst! Hör mal, wie das rauscht, wie die Äste knacken. Die Vögel verpissen sich schon.« Sie schüttelte den Kopf. »Als ob das ein Datum wär.«
    Svana tut so, als sei ich der komische Vogel von uns beiden, so überzeugend, dass ich manchmal fast ihrer Meinung bin. Aber eigentlich bin ich ganz normal und sie ist es, die nicht ruhig sitzen kann, die sich aufregt, plötzlich laut lacht oder ausflippt, die sich ungefragt einmischt, die kippelt, hibbelt, schwitzt und immer in Bewegung ist. »Mein Herbst!«, sagt Svana und boxt mir auf die Schulter.
    Das also ist ihr Beweis: Es ist Herbst, weil sie den Herbst gewonnen hat. Eine etwas verbogene Argumentation, klar, schließlich gewinnt sie immer gegen mich im Weitwurf. Deshalb spielen wir das Spiel ja jeden Tag, Weitwurf, denn Jonathan Wolf hat ein paar motorische Defizite. Er ist eine absolute Sportniete. Wettlauf, Weitwurf, Hochsprung. Ich verliere und sie gewinnt in allen Disziplinen, immer. Was es erträglich macht: Dass sie so gern gewinnt. Und
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