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Geständnis unterm Mistelzweig

Geständnis unterm Mistelzweig

Titel: Geständnis unterm Mistelzweig
Autoren: Emilie Richards
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ähnlich gewesen. Niemand hatte grausam zu ihr sein wollen. Aber alle ihre Pflegeeltern mussten hart arbeiten und hatten wenig Geld.
    Chloe hatte nicht aufbegehrt. Aber als sie dann auf eigenen Füßen stand, hatte sie keine Schere mehr an ihr Haar gelassen.
    Auch in anderer Weise war sie von den Erfahrungen in ihrer Kindheit geprägt worden. Was sie von Weihnachten hielt, war die Folge von Weihnachtsfesten in elf verschiedenen Familien. Chloe hatte alles überstanden. Sie hatte während dieser Zeit auch Freunde gewonnen. Mit ihrer zweiten Pflegemutter tauschte sie immer noch Weihnachtsgrüße, und die letzte Familie war geschlossen zu ihrer Abschlussfeier im College gekommen.
    Chloe hatte gelernt, was sie zum Überleben brauchte. Sie scheute harte Arbeit nicht, und sie wusste, dass man sich Ziele setzen musste. Aber sie war auch entschlossen, nie wieder von anderen abhängig zu sein.
    Jetzt war sie für zwölf Mädchen verantwortlich, die von ihr abhängig waren. Ihnen würde sie ihre Lebenserfahrungen vermitteln. Dabei hatten es diese Kinder viel schwerer, als sie es gehabt hatte. Jedes Mädchen war verhaltensgestört und für Pflegeeltern nicht tragbar. Ihre Vergehen waren zahllos. Sie brauchten strenge Überwachung und intensive Betreuung, um auf den richtigen Weg zurückzukommen. Sie hatten Albträume, bekamen Wutanfälle und stritten sich häufig. Ihre Zensuren schwankten stark.
    Aber sie konnten auch endlos über die Jungen in ihren Klassen kichern und über traurige Filme weinen. Sie gaben aufeinander Acht, und sie wünschten sich Puppen oder Reitstunden zu Weihnachten.
    Weihnachtswünsche. Chloe ging in ihrer kleinen Wohnung auf und ab, die Egan für sie auf dem Boden des Hauses gebaut hatte, wo früher die Dienstmädchen untergebracht gewesen waren, als hier noch Alma Benjamin wohnte.
    Auch Chloe hatte eine Wunschliste. Sie war seit vielen Jahren unverändert. In erster Linie hatte sie sich schon immer eine Katze gewünscht, ein hilfloses kleines Kätzchen, warm und kuschelig, das nur ihr gehörte. Außerdem hatte sie sich ein Puppenhaus aus Holz mit elektrischer Beleuchtung gewünscht.
    Ihr letzter Wunsch -- der unmöglich zu erfüllen war -- hatte darin bestanden, dass jemand die Familie ihres Vaters in Griechenland ausfindig machte. Ihr Vater stammte aus Griechenland. Er hatte seine Familie dort nach einer schweren Auseinandersetzung verlassen und danach keine Verbindung mehr zu ihr gehabt.
    Die Wunschliste war ein Traum geblieben. Chloe hatte gelernt, dass Träume nur wahr wurden, wenn man sie selbst verwirklichte. Das sollten auch die Mädchen im Heim lernen. Aber Chloe wollte es ihnen auf liebevolle Art und behutsam beibringen. Sie sollten wissen, dass sie alles tun konnten, was sie wollten, dass sie nicht von anderen Menschen abhängig sein mussten. Wenn sie sich nur genug anstrengten, konnten sie erreichen, was sie am meisten begehrten. Chloe wollte dafür sorgen, dass die Mädchen der Welt mit Mut, Hoffnung und Vertrauen gegenübertraten.
    Das aber bedeutete, dass Egan ihre Wünsche nicht erfüllen durfte. Denn wenn Egan nicht mehr da war, wer würde dann seinen Platz einnehmen? Etwa der Weihnachtsmann?
    Chloe ging in ihr Schlafzimmer, öffnete die Nachttischschublade und nahm ihr Sparbuch heraus. Eines Tages würde sie den Mädchen von dem Geld erzählen, das sie seit drei Jahren gespart hatte. Es war leider noch nicht so viel, wie es sein sollte. Sozialarbeiter wurden nicht gut bezahlt, und sie musste immer noch ein Darlehen aus der Studentenzeit zurückzahlen. Aber immerhin hatte sie das Geld auf dem Konto, einen Betrag, der jeden Monat etwas wuchs. Sie hatte nämlich vor, sich selbst eines der Geschenke zu machen, die auf ihrer Weihnachtswunschliste standen. Vor einiger Zeit hatte sie bereits mit einem Privatdetektiv gesprochen. Wenn sie genügend Geld hatte, würde sie ihn beauftragen, die Familie ihres Vaters zu suchen.
    Das würde sie für sich selbst tun. Und wenn sie beharrlich dabeiblieb, würden die Mädchen von ihr lernen, dass auch sie etwas für sich selbst erreichen konnten. Am Weihnachtsmorgen würde unter Egans Blautanne mehr liegen als nur Jeans, aber die Geschenke würden nicht üppig sein. Sie würden jedoch ein Beweis dafür sein, dass die Mädchen geliebt wurden und man sie hier im Heim haben wollte.
    Die Geschenke wurden für jedes einzelne Kind sorgfältig ausgesucht. Es gab keine Gleichmacherei. Jedes Kind sollte sehen, dass es als individuelle Persönlichkeit gewertet
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