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Gesprengte Ketten

Gesprengte Ketten

Titel: Gesprengte Ketten
Autoren: Jessica Stein
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erwarte!"
    Melina Wieland, eine der Töchter des Hausmeisters, polterte gefolgt von ihren Freunden hinter Laura die Treppe hinunter. Sie drängte die junge Frau einfach beiseite. "Entschuldigung!", rief sie noch, dann rannte sie zur Haustür und stieß dort fast mit Rosem arie Gerlich, der Haushälterin von Prof. Dr. Waller zusammen.
    "Machen Sie mal Platz!" Ein etwa neunjähriger Junge und ein etwas jüngeres Mädchen drängten sich ebenfalls an Laura vorbei. "Melina, warte auf uns!"
    "Ein Benehmen ist das heutzutage", schimpfte Rosemarie Gerlich. "Wir hätten so etwas früher wagen sollen." Kopfschüttelnd ging sie zum Aufzug.
    Laura verließ das Ärztehaus. Sie wollte sich schon ihrem W agen zuwenden, den sie im Hof geparkt hatte, als sie es sich anders überlegte. Die junge Frau beschloss, noch einen Spaziergang im Schlosspark zu machen. Es war Wochen her, seit sie zum letzten Mal in dem kleinen Café am Seerosenteich gesessen und ein Eis gegessen hatte. Sie verließ den Hof und überquerte den Rundweg, der um den Park führte.
    * * *
    Rosemarie Gerlich drehte den Wasserhahn ab und griff nach dem Handtuch, um sich die Hände abzutrocknen. Sie war dabei, das Mittagessen für Prof. Dr. Waller und sich zuzubereiten. Er hatte sich Blumenkohl mit Eiern und Kartoffeln gewünscht. Als Nachtisch sollte es Obstsalat geben. Sie überlegte, ob sie auch noch eine Packung Eis öffnen sollte. Es machte ihr Spaß, ihren Chef zu verwöhnen. Auch wenn sie nicht wagte, es sich einzugestehen, sie hatte sich schon bei ihrer ersten Begegnung in ihn verliebt. Prof. Dr. Bernhard Waller erinnerte sie an Johannes Hester, als dieser in seinem Alter gewesen war. Mit siebenundsechzig Jahren hatte er genau wie er ausgesehen.
    Der pensionierte Chefarzt saß in einem bequemen Liegestuhl auf der Dachterrasse seiner Wohnung im obersten Stockwerk des Ärztehauses. Er freute sich über das schöne Wetter. Vor einigen Tagen hatte er die Blumenkästen entlang der Brüstung mit Geran ien, Freesien, Begonien und Weihrauch bepflanzt. Kübel mit Rosen und Enzianstöcken standen über die ganze Terrasse verteilt. Er konnte es kaum noch erwarten, wie sich die Terrasse im Laufe der nächsten Wochen in einen einzigen Blütengarten verwandeln würde.
    Zufrieden lehnte er sich in seinem Liegestuhl zurück. Zum e rsten Mal seit Jahren konnte er so richtig den Sommer genießen. Man hatte ihm zwar prophezeit, dass er den Klinikbetrieb vermissen würde, aber momentan genoss er noch seinen Ruhestand. Was gab es Schöneres, als auf der Terrasse zu sitzen, ein gutes Buch in den Händen und den Himmel über sich.
    "So lässt es sich leben, Mimi, nicht wahr?" Er blickte zu der dunkel getigerten Katze, die auf der gepolsterten Bank direkt u nterhalb der Terrassenbrüstung lag und sich sonnte.
    Mimi hob schläfrig den Kopf, öffnete halb die Augen und drehte sich mit einem zufriedenen Seufzen auf den Rücken, um in di eser Position weiter zu schlafen.
    "Das ist die verschlafenste Katze, ich kenne", meinte Rosem arie Gerlich und trat auf die Terrasse hinaus. "Ich dachte, dass ich Ihnen ein Glas Limonade bringe, Herr Professor." Sie stellte das Tablett mit der Limonade auf das Mosaiktischchen, das neben dem Liegestuhl stand.
    "Danke, Röschen." Prof. Dr. Gerlich griff nach dem Glas. "Eiskalt, wie ich es liebe." Vorsichtig nippte er an der Limonade. "Setzen Sie sich ein bisschen zu mir." Einladend wies er auf einen gepolsterten Korbstuhl.
    "Ich muss mich um das Essen kümmern, Herr Professor."
    "Nun, ein paar Minuten werden Sie schon Zeit haben, R öschen." Er stellte das Glas auf den Tisch zurück. "Wenn die Kartoffeln anbrennen, riechen wir es bestimmt."
    Rosemarie Gerlich setzte sich kichernd. "So weit werde ich es nicht kommen lassen, Herr Professor."
    "Davon bin ich überzeugt." Frau Gerlich arbeitete erst seit ein paar Wochen für ihn. Er hatte sie eingestellt, als er seine Wohnung im Ärztehaus bezogen hatte. Seine frühere Haushälterin war zu ihrer Tochter nach Schleswig-Holstein gezogen. Sie waren gut miteinander ausgekommen, was kein Kunststück gewesen war, weil er sich nach dem Tod seiner Frau vor zehn Jahren völlig in seiner Arbeit vergraben hatte. Es hatte lange gedauert, bis er über Annas Tod hinweg gekommen war. Nicht einmal seine Kinder hatten ihm dabei helfen können.
    "Ich habe mir gedacht, dass ich meine Kollegen und ihre Eh efrauen zu einem netten Abend auf die Terrasse einlade", sagte er aus seinen Gedanken heraus. "Das wäre eine gute Gelegenheit,
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