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Gesprengte Ketten

Gesprengte Ketten

Titel: Gesprengte Ketten
Autoren: Jessica Stein
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könnte."
    "Mir ist es auch nicht besonders gut, Mama." Laura half ihrer Mutter auf, um sie ins Bad zu führen.
    "Sei froh, dass du nicht meine Schmerzen erdulden musst." Gertrud Ravens stützte sich schwer auf ihre Tochter.
    "Du solltest dich endlich mal von einem Arzt untersuchen lassen, Mama."
    Gertrud Ravens ließ sich auf den Stuhl vor dem Waschbecken fallen. "Mir kommt kein Arzt mehr zu nahe", sagte sie. "Darf ich dich an Doktor Georgi erinnern? Hast du vergessen, wie unve rschämt er zu mir gewesen ist?"
    "Er wollte dir nur helfen, Mama. Die ganzen Süßigkeiten, die du isst, tun dir nicht gut."
    "Lass das mal meine Sorge sein!"
    Laura verzichtete darauf, sich mit ihrer Mutter über dieses Thema zu streiten. Sie half ihr beim Waschen und beim Anziehen und brachte sie danach ins Wohnzimmer hinunter, wo sich Ge rtrud Ravens vor den Fernseher setzte, um zu frühstücken und das Morgenprogramm anzuschauen.
    Während der nächsten Stunde machte Laura die Betten, saugte im Treppenhaus und in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Ihr Vater hatte sich missmutig von seinem Freund abholen lassen. Seit einem Unfall, den er vor zwei Jahren verursacht hatte, fuhr er nicht mehr selber Auto.
    Sie hätten es sich leisten können, eine Haushaltshilfe einzustellen. Ihr Vater, der bis zu seiner Frührente einen guten Posten in der Industrie gehabt hatte, erhielt eine ziemlich hohe Rente. Sie selbst verdiente mit ihrem Schreibbüro auch nicht schlecht. Leider waren ihre Eltern der Meinung, dass sie eine Putzfrau gegenüber den Nachbarn nicht vertreten konnten. Besonders ihr Vater meinte: 'Drei Frauen im Haus und eine Haushaltshilfe...' Er vergaß dabei, dass seine älteste Tochter die Einzige war, auf der die ganze Last der Hausarbeit ruhte.
    Im Arbeitszimmer klingelte das Telefon. Laura hob eilig den Hörer ab. "Oh, du bist es, Jannic", sagte sie, als sich ihr Freund meldete. "G uten Morgen."
    "Guten Morgen, Liebes", antwortete Jannic Eckstein gut g elaunt. "Hast du Lust, mit mir heute Abend ins Kino zu gehen?"
    "Lust hätte ich schon, fragt sich nur, ob ich es schaffen werde. Ich bin dabei, eine Doktorarbeit abzuschreiben. Und heute Vo rmittag verliere ich Zeit, weil ich bei Doktor Marquard bestellt bin."
    "Ich kenne Doktor Marquard flüchtig. Er wohnt in unserer N ähe", antwortete Jannic. "Der Arme", fügte er ironisch hinzu. "Er wird wie seine Vorgänger vergeblich nach einer Diagnose suchen."
    Laura schluckte. Sie liebte Jannic über alles. Es schmerzte sie, dass auch er ihr nicht glaubte. "Ich fühle mich nicht gut. Wenn ich aufstehe, ist es, als hätte ich überhaupt nicht g eschlafen. Und..."
    "Laura, wenn du dich ein wenig zusammennehmen würdest, würde es dir schon bald besser gehen. Und was deine viele Arbeit betrifft, solltest du endlich deiner Familie klarmachen, dass du auch noch ein Privatleben hast. So geduldig ich auch bin, irgen dwann ist meine Geduld am Ende."
    Laura knallte den Hörer auf die Gabel. Nicht einmal Jannic hielt zu ihr! Sie starrte auf das Telefon. War es richtig gewesen, einfach aufzulegen? - Ja, sie konnte es nicht mehr ertragen, von allen Menschen als Hypochonderin behandelt zu werden. Von ihrer Familie war sie nichts anderes gewohnt, aber wenigstens Jannic sollte zu ihr erhalten. Wenigstens Jannic...
    Niedergeschlagen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und vergrub das Gesicht in den Händen.
    * * *
    "Ich sage immer, wenn ich mich nicht um den alten Herrn kümmere, tut es keiner", erklärte Marianne Wolf selbstgefällig. "Es ist einfach schrecklich, wie es heutzutage in der Welt zugeht. Keiner ist mehr für den anderen da. Ich habe mich stets um andere gekümmert, ohne großen Dank zu verlangen. Was mir der alte Herr für meine Mühe bezahlt, ist wirklich nicht der Rede wert. Dafür bin ich auch jeden Tag ein paar Stunden bei ihm. Selbst die Schuhe muss ich ihm zubinden und..."
    "Kommen wir auf Ihre Leibschmerzen zu sprechen, Frau Wolf", unterbrach Dr. Marquard den Redefluss der älteren Frau. Frau Wolf war bereits seine Patientin gewesen, als er noch in Ried praktiziert hatte. Vor drei Monaten hatten die Wolfs ihr Haus ve rkauft und waren nach Burghausen in eine Eigentumswohnung gezogen. Er kannte sie und ihren Mann seit Jahren. Beide waren Rentner. Ihre erwachsenen Kinder lebten in München und Stuttgart.
    "Ja, meine Leibschmerzen!" Marianne Wolf presste die Hände auf ihren Bauch. "Gestern war es so schlimm, dass ich nichts e ssen konnte. Ich habe den ganzen Tag im Bett gelegen
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