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Gesichter der Nacht

Gesichter der Nacht

Titel: Gesichter der Nacht
Autoren: Jack Higgins
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seines Regenmantels zuzog, sagte sie: »Wo haben Sie sich das geholt?«
      Er zuckte die Achseln. »Ich bin per Anhalter
gefahren. Von London bis hier. Ich will nach Birmingham und mir dort
Arbeit suchen. Als ich aus dem Laster gestiegen bin, habe ich mir den
Arm an einem Stahldorn aufgerissen.«
    Er setzte sich in Bewegung, wollte gehen.
Aber die junge Frau kam mit. An der Tür beugte sie das Knie und
bekreuzigte sich. Dann folgte sie ihm nach draußen, stand neben
ihm unter dem Portal.
    »Ich mach' mich jetzt mal auf den Weg«, sagte Marlowe.
      Sie blickte in den Regen und in den Nebel hinaus und
sagte, leise lächelnd: »Bei dem Wetter wird Sie kaum jemand
mitnehmen.«
      Er nickte und erwiderte: »Wenn mich niemand
mitnimmt, fahre ich eben mit dem Bus nach Barford. Das geht schon in
Ordnung.«
      »Aber vor fünf fährt kein Bus«,
sagte sie. »Die Verbindungen sind hier nicht besonders
gut.« Sie schien zu zögern. Dann sagte sie: »Sie
können mit mir nach Hause kommen, wenn Sie wollen. Ich mache Ihnen
einen anständigen Verband um diese Wunde. Sie haben noch eine
Menge Zeit, bis der Bus fährt.«
      Marlowe schüttelte den Kopf und ging auf die Treppe zu. »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
      Ihre Lippen bebten ein wenig, und sie mußte sich
das Lachen verbeißen, als sie sagte: »Mein Vater
dürfte inzwischen zu Hause sein. Sie sehen also – es ist
alles so, wie es sich gehört.«
      Marlowe lächelte, ohne es eigentlich zu wollen,
und wandte sich der jungen Frau zu. Ihm fiel erst jetzt auf, daß
sich ihre Sprechweise ein wenig fremdländisch anhörte. Und
aus irgendeinem völlig unerklärlichen Grund fühlte er
sich plötzlich mit ihr vertraut. Er grinste und zog sein
Zigarettenpäckchen aus der Tasche. »Sie sind keine
Engländerin, oder?«
      Sie erwiderte sein Lächeln und lehnte
gleichzeitig mit einer leichten Handbewegung die Zigarette ab, die er
ihr anbot. »Nein, Portugiesin. Wie kommen Sie darauf? Ich habe
mir immer eingebildet, daß ich akzentfrei spreche.«
      Marlowe versuchte sofort, sie zu beruhigen.
»Liegt nicht am Akzent. Sie sehen bloß nicht besonders
englisch aus.«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich weiß nicht, wie Sie das mei
    nen, aber ich werde es als Kompliment betrachten. Ich heiße Maria Magellan.«
      Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er zögerte
einen Augenblick. Dann nahm er ihre Hand in seine. »Hugh
Marlowe.«
      »So. Jetzt haben wir uns einander vorgestellt,
und alles ist sehr ehrbar«, sagte sie munter. »Wollen wir
jetzt gehen?«
      Er verharrte noch einen Moment, bevor er ihr die
Treppe hinunter folgte. Sie ging vor ihm durchs Tor, und er bemerkte,
daß sie klein war und die ziemlich üppige Figur hatte, die
viele Südländerinnen haben, mit Hüften, die für den
englischen Geschmack zu breit waren.
      Sie liefen den Bürgersteig entlang, Seite an
Seite, und er schaute sie hin und wieder verstohlen an. Ihr Gesicht war
weich und rund, ihre Haut makellos und glatt. Die Augenbrauen und das
Haar, das unter dem Kopftuch hervorlugte, waren rabenschwarz, und sie
hatte einen roten, vollen und sinnlichen Mund.
      Einmal wandte sie unerwartet den Kopf und ertappte ihn
dabei, wie er sie betrachtete. Sie lächelte. »Sie sind
ziemlich groß, Mr. Marlowe. Wie groß genau?«
      Marlowe zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. So um die einsneunzig.«
      Sie nickte. Ihr Blick wanderte über seine massige
Gestalt. »Und was für eine Arbeit suchen Sie?«
      Er zuckte erneut die Achseln. »Was ich kriegen
kann. Möglichst einen Job als Fahrer. Das kann ich am
besten.«
      Interesse schimmerte in ihren Augen auf. »Pkw oder Lkw oder was?«
      »Alles«, sagte er. »Alles, was
Räder hat. Vom Jeep bis zum Tankwagen. Hab' ich alles schon
gefahren.«
    »Sie waren also bei der Armee?« fragte sie, und ihr Interesse schien noch zuzunehmen.
      Marlowe schnippte seine Zigarette in den Rinnstein, in
dem Regenwasser gurgelte. »Ja, man könnte wohl sagen,
daß ich bei der Armee war«, antwortete er, und in seiner
Stimme lag eine gewisse Erstarrung.
      Sie spürte den Stimmungsumschwung und schwieg.
Marlowe ging niedergeschlagen neben ihr her und suchte verzweifelt nach
Gesprächsstoff, aber das war nicht nötig. Sie bogen in eine
schmale Straße und kamen zu einem Tor, das offenstand. Die junge
Frau blieb stehen und sagte: »Wir sind da.«
      Vor ihnen verlor sich ein Kiesweg im Nebel, und
Marlowe konnte undeutlich die Umrisse eines Hauses
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