Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter der Nacht

Gesichter der Nacht

Titel: Gesichter der Nacht
Autoren: Jack Higgins
Vom Netzwerk:
flott dahin,
ratterte über die Weichen in Richtung Norden.
    Marlowe lehnte noch einen Moment in der
Türöffnung. Dann schob er die Tür zu und ließ sich
auf den strohbedeckten Boden sinken.

    2

    Er lag eine Weile mit dem Gesicht nach unten im Stroh. Mühsam
hob und senkte sich seine Brust, seine Lungen brannten, er rang nach
Luft. Dann setzte er sich auf und lehnte sich gegen eine Packkiste.
      Der Güterwagen war alt und ramponiert. Auf beiden
Seiten Bretterverschläge mit vielen Löchern, durch die Licht
drang. Das Atmen fiel Marlowe jetzt leichter. Er stand auf, zog seinen
Regenmantel und seine Jacke aus. Die Wunde am Arm war nicht so schlimm,
wie er gedacht hatte. Sie ging nicht tief; ein acht bis neun Zentimeter
langer Schnitt, wo das Messer seinen Ärmel aufgeschlitzt hatte. Er
holte sein Taschentuch aus der Jacke, wickelte es um die Wunde, zog den
Knoten mit den Zähnen fest.
      Er schauderte und schlüpfte wieder in seine
Jacke, weil der Wind durch die Ritzen des Bretterverschlags pfiff und
fein zerstäubten, kalten Regen hereintrug. Er zog auch noch seinen
Mantel an, und als er die Knöpfe zumachte, betrachtete er die
Packkisten im Waggon genauer und stellte amüsiert fest, daß
sie an eine Firma in Birmingham gingen. Also schloß sich der
Kreis, wie? Er war vor fünf Jahren mit einem Güterzug aus
Birmingham geflohen. Und nun fuhr er wieder mit einem zurück.
Masters hätte geschmunzelt.
    Er setzte sich gegen eine Packkiste bei
der Tür und überlegte sich, was Masters jetzt wohl machte.
Wahrscheinlich sorgte er dafür, daß jeder Polizist in London
eine Beschreibung von Hugh Marlowe hatte. Und Faulkner würde auf
seine Art genau das gleiche tun. Marlowe runzelte die Stirn und
fummelte eine Zigarette aus dem Päckchen. London kam im Moment
nicht in Fra ge. Wenn jeder Ganove in der Stadt ein Auge auf ihn hatte,
konnte er sich dort keine halbe Stunde halten.
      Er schob die Hände in die Manteltaschen und
dachte nach. So, wie es jetzt war, war es wohl am besten. Ein, zwei
Wochen in Mittel- oder Nordengland, bis sich die Wogen etwas
geglättet hatten, und dann konnte er heimlich zurückkehren
und sich holen, was er in dem Schließfach dieser Firma in der
Nähe der Bond Street hinterlegt hatte.
      Er krampfte die Finger um den Stahlschlüssel in
seiner Jakkentasche, nahm ihn heraus, betrachtete ihn. Und
plötzlich mußte er lächeln. Er hatte fünf Jahre
gewartet. Also konnte er auch noch ein, zwei weitere Wochen warten. Er
steckte den Schlüssel wieder in die Tasche, zog seine Mütze
über die Augen und schlief ein.
      Als er aufwachte, mußte er eine Weile
überlegen, wo er war. Dann fiel es ihm ein. Er stand steifbeinig
auf. Er fror, und die Rippen taten ihm immer noch weh von Butchers
Tritt. Der Zug fuhr mit hoher Geschwindigkeit, schlingerte ein wenig in
den Kurven, und als Marlowe die Tür aufmachte, schlug ihm ein
Schwall Wind ins Gesicht.
      Dichter Nebel hüllte die Landschaft ein. Man
konnte nicht weiter sehen als dreißig bis vierzig Meter. Marlowe
fühlte sich besser, die frische Luft hatte ihn munter gemacht, und
er setzte sich wieder, ließ die Tür auf und dachte
darüber nach, was er jetzt tun sollte.
      Birmingham kam auch nicht in Frage. Vielleicht hatte
Faulkner herausgefunden, wohin der Güterzug fuhr. Es war ohne
weiteres möglich, daß ihn in Birmingham ein Empfangskomitee
erwartete.
      Faulkner hatte überall Freunde. Es war das beste,
wenn er in irgendeiner Kleinstadt an dieser Bahnlinie aus dem Zug
stieg. Die Art Kaff, von dem nie jemand gehört hatte.
    Er räumte seine Taschen aus und
machte Bestandsaufnahme. Eine Versicherungskarte, sein
Führerschein und fünfzehn Schil ling. In dem Päckchen,
das ihm der alte Mann in der Imbißstube geschenkt hatte, waren
noch zehn Zigaretten. Marlowe lächelte trübselig und dachte,
wie gut es war, daß er wenigstens einen Führerschein
besaß. Wenn er Glück hatte, bekam er vielleicht irgendwo
einen Job als Fahrer. Das würde ihn über Wasser halten, bis
er nach London zurückkehren konnte.
      Der Zug bremste, Marlowe stand rasch auf und
schloß die Tür bis auf einen kleinen Spalt, durch den er
sah, was draußen im Nebel war. Ein Signal kam, und einen Moment
später fuhr der Zug an einem kleinen Bahnsteig vorbei. Marlowe
konnte gerade noch den Namen LITTON erkennen, dann hatte der Nebel den
Bahnhof verschluckt.
      Er zuckte die Achseln, und die Andeutung eines
Lächelns kräuselte seine Lippen. Litton. Nie gehört.
Also
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher