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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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ein einziger Umstand wird mich je dazu bringen können, direkt einen Sonnenuntergang zu beobachten. Sollten meine Augen von Karzinomen befallen werden, werde ich eines Spätnachmittags, bevor ich endgültig erblinde, zum Meer gehen und zu jenen fernen asiatischen Reichen hinüberschauen, die ich nie besuchen kann. Bei Anbruch der Dämmerung werde ich dann meine Sonnenbrille abnehmen und beobachten, wie das Licht erlischt.
    Ich werde blinzeln müssen. Helles Licht schmerzt in meinen Augen. Seine Wirkung setzt so vollständig und schnell ein, daß ich die sich entwickelnden Verbrennungen praktisch spüren kann.
    Als das blutrote Licht an der Peripherie der Jalousien sich zu einem tiefen Purpur verfärbte, krampfte die Hand meines Vaters sich um meine zusammen.
    Ich schaute hinab, sah, daß er die Augen geöffnet hatte, und versuchte ihm alles zu sagen, was in meinem Herzen war.
    »Ich weiß«, flüsterte er.
    Als ich nicht aufhören konnte, ihm zu sagen, was nicht gesagt werden mußte, nahm Dad unerwartet alle Kraft zusammen und drückte meine Hand so fest, daß ich in meiner Rede innehielt.
    In mein zittriges Schweigen sagte er: »Vergiß nicht…«
    Ich konnte ihn kaum verstehen. Ich beugte mich über das Bettgeländer und drückte mein linkes Ohr fast auf seine Lippen.
    Schwach, aber eine Entschlossenheit ausstrahlend, in der Zorn und Trotz mitschwang, gab er mir seine letzten Unterweisungen: »Fürchte nichts, Chris. Fürchte nichts.«
    Dann war er nicht mehr. Das leuchtende Filigranmuster des Elektrokardiogramms machte einen Satz, und noch einen, und bestand dann nur noch aus einer geraden Linie.
    Die einzigen sich bewegenden Lichter waren die Kerzen-flammen, die auf den schwarzen Dochten tanzten.
    Ich konnte seine schlaffe Hand nicht sofort loslassen. Ich küßte seine Stirn, seine rauhe Wange.
    An den Rändern der Jalousien sickerte kein Licht mehr vorbei. Die Welt hatte sich in die Dunkelheit gewendet, die mich willkommen hieß.
    Die Tür wurde geöffnet. Wieder hatte man die Neonlampen in der Nähe der Tür ausgeschaltet, und das einzige Licht im Gang stammte von den anderen Räumen, die in ihn mündeten.
    Dr. Cleveland betrat den Raum – er paßte kaum durch die Türöffnung – und kam gemessenen Schrittes ans Fußende des Betts.
    Mit den schnellen Schritten eines Wasserläufers folgte ihm Angela Ferryman, die scharfen Knöchel ihrer Hand an die Brust gedrückt. Sie hatte die Schultern hochgezogen, eine abwehrende Haltung eingenommen, als wäre der Tod ihres Patienten ein körperlicher Schlag für sie.
    Das EKG-Gerät neben dem Bett war mit einer Telemetrievorrichtung versehen, die Dads Herzschlag zu einem Monitor im Schwesternzimmer am Ende des Ganges übertragen hatte. Sie hatten es in dem Augenblick gewußt, in dem er verschieden war.
    Sie kamen nicht mit Spritzen voller Adrenalin oder mit einem tragbaren Defibrillator, um sein Herz mit einem Schock wieder zum Schlagen zu zwingen. Wie Dad es gewünscht hatte, würde es keine radikalen Notmaßnahmen geben.
    Dr. Clevelands Gesichtszüge waren nicht für ernste Anlässe geschaffen. Er erinnerte an einen bartlosen Weihnachtsmann mit fröhlichen Augen und vollen, rosigen Wangen. Er versuchte, einen düsteren Ausdruck der Trauer und des Mitgefühls aufzusetzen, schaffte es jedoch nur, verwirrt zu wirken.
    Aber seine leise Stimme offenbarte seine Gefühle. »Alles in Ordnung, Chris?«
    »Ich halte schon durch«, sagte ich.

4
    Aus dem Krankenhauszimmer rief ich Sandy Kirk von Kirk’s Funeral Home an; mit diesem Bestattungsunternehmen hatte mein Vater schon vor Wochen alle nötigen Absprachen getroffen. In Übereinstimmung mit Dads Wünschen sollte er eingeäschert werden.
    Zwei Krankenpfleger, junge Männer mit kurzgeschnittenem Haar und kläglichen Schnurrbärten, kamen, um die Leiche in einen Kühlraum im Keller zu bringen.
    Sie fragten, ob ich dort unten warten wollte, bis der Leichenwagen kam. Ich lehnte ab.
    Das war nicht mein Vater, nur sein Körper. Mein Vater war an einen anderen Ort gegangen.
    Ich entschied mich, die Decke nicht zurückzuschlagen, um Dads blaßgelbes Gesicht ein letztes Mal zu betrachten. So wollte ich ihn nicht in Erinnerung behalten.
    Die Pfleger legten die Leiche auf eine Rollbahre. Sie wirkten dabei unbeholfen, obwohl sie doch genug Übung haben sollten, und warfen mir immer wieder verstohlene Blicke zu, als fühlten sie sich wegen ihrer Arbeit auf unerklärliche Weise schuldig.
    Vielleicht finden jene, die die Toten
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