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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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Austausch findet nicht statt. Damit entwickelt sich leicht und schnell von ultraviolettem Licht ausgelöster Krebs – und bildet ungehindert Metastasen.
    In den Vereinigten Staaten, deren Bevölkerung über zweihundertundsiebzig Millionen Menschen beträgt, gibt es über achtzigtausend Zwerge. Neunzigtausend unserer Landsleute sind über zwei Meter zehn groß. Unsere Nation rühmt sich vier Millionen Millionäre, und zehntausend weitere werden in diesem Jahr diesen glücklichen Rang noch erreichen. In einem Jahr werden vielleicht eintausend unserer Bürger von Blitzen getroffen.
    Weniger als eintausend Amerikaner haben XP, und weniger als einhundert werden pro Jahr damit geboren.
    Diese Anzahl ist einerseits so klein, weil dieses Gebrechen so selten ist. Die Größe dieser XP-Population wird aber auch durch den Umstand beschränkt, daß viele von uns nicht lange leben.
    Die meisten Ärzte, die mit Xeroderma pigmentosum vertraut sind, hätten erwartet, daß ich noch in der Kindheit sterbe. Nur wenige hätten darauf gewettet, daß ich die Pubertät überlebe. Keiner hätte eine größere Geldsumme darauf gesetzt, daß ich mit achtundzwanzig Jahren noch prächtig gedeihe.
    Eine Handvoll von XPers (mein Begriff für uns) ist älter als ich, einige wenige sogar beträchtlich, wenngleich die meisten, wenn nicht sogar alle von ihnen, unter progressiven neurologischen Problemen leiden, die sich auf die Funktionsstörung zurückführen lassen. Zittern des Kopfes oder der Hände. Hörverlust. Undeutliche Aussprache. Sogar Geistesschwäche.
    Abgesehen davon, daß ich vor dem Licht auf der Hut sein muß, bin ich so normal und funktionsfähig wie jeder andere. Ich bin kein Albino. Meine Augen haben Farbe. Meine Haut ist pigmentiert. Obwohl ich bestimmt viel bleicher bin als ein kalifornischer Strandjunge, bin ich nicht weiß wie ein Gespenst. In den von Kerzenlicht erhellten Räumen und der Nachtwelt, die ich bewohne, könnte man seltsamerweise sogar den Eindruck bekommen, daß ich eine ziemlich dunkle Haut habe.
    Jeder Tag, an dem mein derzeitiger Zustand sich nicht verschlechtert, ist ein kostbares Geschenk, und ich bin der Ansicht, daß ich meine Zeit so gut und vollständig nutze, wie man sie nur nutzen kann. Ich genieße das Leben. Ich finde Freude, wo niemand es vermuten würde – aber wohin auch nur wenige schauen.
    Im Jahre 23 v. Chr. schrieb der Dichter Horaz: »Nutze den Tag, setze kein Vertrauen ins Morgen.«
    Ich nutze die Nacht und reite sie, als wäre sie ein großer schwarzer Hengst.
    Die meisten meiner Freunde behaupten, ich sei der glücklichste Mensch, den sie kennen. Ich mußte die Entscheidung treffen, das Glück zu wählen oder es zurückzuweisen, und ich habe es umarmt.
    Ohne meine Eltern hätte ich jedoch diese Wahl vielleicht nie treffen können. Meine Mutter und mein Vater haben ihr Leben radikal verändert, um mich mit aller Macht vor dem schädlichen Licht abzuschirmen, und bis ich alt genug war, um meine Zwangslage zu verstehen, mußten sie unaufhörlich wachsam sein. So beschwerlich das auch gewesen sein mochte, ihr selbstloser Eifer trug unermeßlich zu meinem Überleben bei. Überdies gaben sie mir die Liebe – und die Liebe für das Leben –, die es mir unmöglich machte, mich für die Niedergeschlagenheit, Verzweiflung und ein Leben als Einsiedler zu entscheiden.
    Meine Mutter starb völlig überraschend. Obwohl ich wußte, daß ihr klar war, wie sehr ich sie liebte, wünschte ich, ich hätte ihr an diesem letzten Tag ihres Lebens meine Gefühle angemessen zum Ausdruck bringen können.
    Manchmal, draußen in der Nacht, auf dem dunklen Strand, bei klarem Himmel, wenn das Sternengewölbe mich gleichzeitig sterblich und unbesiegbar fühlen läßt, wenn es windstill ist und selbst die See nur ganz leise auf das Ufer brandet, sage ich meiner Mutter, was sie mir bedeutet hat. Aber ich weiß nicht, ob sie es auch hört.
    Und nun hörte mein Vater – der noch bei mir war, wenn auch nur ein wenig – mich nicht, als ich »Du hast mir das Leben gegeben!« sagte. Und ich hatte Angst, daß er sterben würde, bevor ich ihm all die Dinge sagen konnte, die ich schon meiner Mutter nicht hatte sagen können.
    Seine Hand blieb kühl und schlaff. Ich hielt sie trotzdem, als wollte ich ihn in dieser Welt verankern, bis ich mich von ihm angemessen verabschieden konnte.
    Als die Sonne auf das Meer traf, erglühten an den Rändern der Jalousien die Fensterrahmen von einem dumpfen Orange zu einem feurigen Rot.
    Nur
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