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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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der Leber auf das Lymphsystem ausgebreitet, dann auf andere Organe, bis er ganz davon durchsetzt war. Beim Kampf ums Überleben hatte er viel von seinem dichten weißen Haar verloren.
    Auf dem Herzmonitor zeichnete die grüne Linie unregelmäßige Wellentäler. Ich beobachtete es mit Schrecken.
    Dads Hand schloß sich schwach um die meine.
    Als ich ihn wieder ansah, waren seine saphirblauen Augen geöffnet und, so fesselnd wie immer, auf mich gerichtet.
    »Wasser?« fragte ich, weil er in letzter Zeit ständig durstig war und wie ausgetrocknet.
    »Nein, mir geht es gut«, erwiderte er, obwohl er trocken klang. Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
    Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
    Mein ganzes Leben lang war unser Haus mit Gesprächen erfüllt gewesen. Dad und Mama und ich sprachen über Romane, alte Filme, die Torheiten der Politiker, über Lyrik, Musik, Geschichte, Naturwissenschaft, Religion und über Eulen und Feldhüpfmäuse und Waschbären und Fledermäuse und Winkerkrabben und andere Geschöpfe, die die Nacht mit mir teilten. Unsere Diskurse reichten von ernsten Kolloquien über das Menschsein bis hin zu seichtem Klatsch über Nachbarn. In der Familie Snow galt kein körperliches Ertüchtigungsprogramm, ganz gleich, wie anstrengend es sein mochte, als zulänglich, wenn kein tägliches Zungentraining darin enthalten war.
    Doch als ich nun mein Herz unbedingt meinem Vater öffnen wollte, fand ich keine Worte.
    Er lächelte, als verstünde er meine Notlage und wüßte das Paradoxe daran zu schätzen.
    Dann verblich das Lächeln. Sein abgehärmt aussehendes, blaßgelbes Gesicht schien noch hagerer zu werden. Er war sogar so dünn geworden, daß, als ein Luftzug die Kerzenflamme flackern ließ, sein Gesicht kaum substantieller wirkte als ein Spiegelbild, das auf einer Teichoberfläche trieb.
    Als das flackernde Licht sich beruhigte, schien es mir, als würde Dad Schmerzen haben, aber als er sprach, enthüllte seine Stimme eher Kummer und Bedauern als Pein: »Es tut mir leid, Chris. So verdammt leid.«
    »Dir muß gar nichts leid tun«, versicherte ich ihm und fragte mich, ob er einen lichten Augenblick hatte oder durch einen Dunst aus Fieber und Medikamenten sprach.
    »Es tut mir leid wegen des Erbes, mein Sohn.«
    »Ich komme klar. Ich kann mich um mich selbst kümmern.«
    »Nicht das Geld. Davon ist genug da«, sagte er, und seine flüsternde Stimme wurde noch schwächer. Seine Worte glitten fast so leise über seine bleichen Lippen wie Eiweiß aus einer aufgesprungenen Schale. »Das andere Erbe… von deiner Mutter und mir. Die XP.«
    »Dad, nein. Du hast es nicht voraussehen können.«
    Seine Augen schlossen sich wieder. Worte, so dünn und transparent wie rohes Eiweiß: »Es tut mir so leid…«
    »Du hast mir das Leben gegeben«, sagte ich.
    Seine Hand war erschlafft.
    Einen Augenblick lang dachte ich, er sei tot. Mein Herz sank tiefer in meine Brust, wie ein Stein im Wasser.
    Aber der vom Elektrokardiographen in grünem Licht festgehaltene Puls zeigte, daß er lediglich wieder das Bewußtsein verloren hatte.
    »Dad, du hast mir das Leben gegeben«, wiederholte ich, besorgt, daß er mich nicht hören konnte.
    Mein Dad und meine Mama hatten beide unwissentlich ein rezessives Gen in sich getragen, das in nur einem von zweihunderttausend Menschen vorkommt. Die Chance, daß zwei solcher Menschen sich kennenlernen, verlieben und Kinder bekommen, stehen zig Millionen zu eins. Selbst dann müssen beide das Gen an ihren Nachwuchs weitergeben, soll das Unheil zuschlagen, und die Aussicht dafür beträgt lediglich eins zu vier.
    Bei mir haben meine Eltern das große Los gezogen. Ich habe Xeroderma pigmentosum – abgekürzt XP –, eine seltene und häufig tödlich endende genetische Funktionsstörung.
    XP-Opfer sind akut anfällig für Hautkrebs und Karzinome an den Augen. Selbst ein kurzes Verweilen in der Sonne könnte für mich katastrophale Folgen haben. Mehr noch, ich darf mich keinerlei ultravioletten Strahlen aussetzen, auch nicht denen von Glüh- und Neonlampen.
    Alle Menschen erleiden durch Sonnenlicht Schäden der DNS  – des genetischen Materials – in ihren Zellen, die zu Melanomen und anderen bösartigen Geschwülsten führen können. Gesunde Menschen haben ein natürliches Reparatursystem: Enzyme, die die beschädigten Segmente der Nukleotidstränge auseinandernehmen und durch unbeschädigte DNS ersetzen.
    Bei denen mit XP funktionieren die Enzyme jedoch nicht; der
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