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Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
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– mir fehlten Waffen.«
    Was den Wedding von anderen Bezirken unterscheidet, ist das intensive Miteinander im täglichen Leben. Überall lauern Krisenherde und mitunter wird selbst der unscheinbarste Kinderspielplatz zur No-Go-Area, wenn man nicht die Mittel bei sich trägt, um sich eine Horde schlechtgelaunter Kids mit Migrationshintergrund vom Leib zu halten. Untersuchungen haben ergeben, dass ein durchschnittlicher Haushalt im Wedding mehr Waffen hortet als ein sunnitisches Dorf im Irak. Zwei der Gründe, warum der Wedding bislang nicht zum Szenebezirk aufgestiegen ist, sind seine hohe Gewaltbereitschaft und der lockere Umgang mit Rechtsauffassungen. Kleinfamilien, denen es im Prenzlauer Berg zu ruhig ist, ist der tägliche Spießrutenlauf durch die Straßen des Weddings zu gefährlich. Business Administratoren aus Mitte wären Freiwild für Attentäter aus allen Ecken, wenn sie die Müllerstraße langlaufen und nicht die Umgebung im Auge behalten, weil sie gerade konzentriert ein wichtiges Meeting am Handy besprechen.
    Früher mussten sich die Weddinger die Waffen woanders besorgen, zum Beispiel im Baumarkt in Reinickendorf. Das ist weit entfernt vom Wedding und die Reinickendorfer waren nicht gut darauf zu sprechen, dass die Weddinger ihnen die Waffen wegkauften. Regelmäßig kam es zu Scharmützeln an der Bezirksgrenze. Das hat jetzt ein Ende, denn die Geschäftsidee von Ernst Wölbitsch wird von den Weddingern gerne angenommen. Wie das genau aussieht und wohin das bisweilen führen kann, zeigt das folgende Verkaufsgespräch:
    »Guten Tag, der Herr, was darf es sein?«
    »Ich hätte gerne eine
taz
, zwei Blendgranaten, eine Tüte Wurfsterne, eine
Porno heute
, eine AK-47 sowie eine Schachtel
Marlboro

    »Kein Problem.
Taz
, hier bitte. Die Blendgranaten sind diese Woche im Angebot, gratis dazu gibt es eine Original Wehrmachtshandgranate, wo aber nicht sicher ist, ob sie noch funktioniert. Die Kalaschnikow bieten wir ab sofort in einer modifizierten Form an. Mehr Durchschlagskraft, mehr Effizienz und so. Bekommen wir von der israelischen Armee geliefert. Bei denen heißt dieses Modell »Shalom«. Witzig, oder? Dazu gibt es diese Woche ein Tütchen mit panzerbrechender Munition gratis dazu. So, dann noch die
Porno heute
. Die Tüte Wurfsterne muss ich Ihnen unter der Theke durchreichen, da Besitz und Verkauf offiziell verboten sind. Aah, mein Rücken … So, die Sterne sind noch mit echter Weddinger Hundescheiße bestrichen, damit Ihr Opfer, falls Sie es nicht direkt töten, an einer Infektion stirbt. Und die
Marlboro
, wie möchten Sie die? Light, Heavy, grün, braun, silber, rot, blau oder Schoko?«
    »Silber.«
    »Gut, der Herr, das macht dann 371,13 Euro.«
    »Hier sind vierhundert Euro. Den Rest können Sie behalten.«
    »Danke, der Herr. Haben Sie noch einen Wunsch? Brauchen Sie vielleicht eine Tüte?«
    »Nein, brauche ich nicht. So, und jetzt rück mal die Kasse raus.«

Hinark Husen
Mal nett sein, schön
    Dienstagmorgen vor dem City Point in der Müllerstraße. Ich bin ausgesprochen guter Laune und habe keine Ahnung, warum. Ist eben einfach passiert, hoppla, gute Laune. Ich bin zu spät aufgestanden und hatte noch nicht mal einen Kaffee. Draußen ist übelstes Novemberwetter und bei mir schleicht sich, holterdiepolter, gute Laune ein. Schwamm drüber und mal gucken, wie lange es anhält. Bloß nicht allzu sehr auffallen, darauf achten, dass die Mundwinkel nicht allzu stark nach oben gezogen sind, sonst fühlen sich die Leute angegrinst, und das mag man hier gar nicht. Gute Laune ist im Wedding auch gerne mal ungesund, wenn sie allzu mitteilsam daherkommt.
    Beim Abschließen des Fahrrades bemerke ich den älteren Obdachlosen vor der Shoppingcenterglastür. Er hält einen Pappbecher mit beiden Händen umschlossen, zwischen den Fingern der rechten Hand noch eine brennende Kippe, und schaut ein bisschen orientierungslos. Keiner von den bekannten Gesichtern. Auch das Outfit ist noch leidlich in Ordnung, scheint neu zu sein. Mich befällt plötzliche, spätrömische Antidekadenz. Ich zücke schon beim Einstecken des Schlüssels mein Portemonnaie und suche ein Fünfzig-Cent-Stück heraus. Ein bisschen dürfen sich andere auch freuen. Seit ich in letzter Zeit so selten U-Bahn fahre, komme ich gar nicht mehr dazu, mal einen Taler abzudrücken.
    Energischen Schrittes gehe ich auf den Mann zu und versenke das Geldstück in seinem Becher, er macht ein völlig konsterniertes Gesicht. Der Tag scheint nicht gut
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