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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus
Autoren: C.H.Beck
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in der Zukunft eintritt, und weil die Erträge von Innovationen erst zu einem späteren Zeitpunkt – im Aufschwung des Zyklus – zu erzielen sind (wenn überhaupt), benötigt der Innovationen durchsetzende Unternehmer vorgeschossenes Kapital, das er als Schuldner aufnimmt, um es, nach erfolgreicher Realisierung, aus späteren Erträgen mit Zinsen zurückzuzahlen. Diese innere «Verbindung zwischen Kredit und Durchsetzung des Neuen» erkannte Schumpeter als ein Spezifikum und als die Grundlage der dynamischen Kraft des Kapitalismus.[ 10 ]
    Er wusste, dass der Kapitalismus nicht nur kleinen Minderheiten, sondern auch der breiten Mehrheit ein Ausmaß an materiellem Wohlstand und persönlicher Freiheit erbracht hatte, das in der Menschheitsgeschichte einmalig war. Diese enorme Leistungsfähigkeit der kapitalistischen Ökonomie erklärte er auch psychologisch und soziologisch: Dieser Wirtschaftsweise gelinge es, immer wieder mächtige Motive – nämlich die häufig illusionäre Hoffnung auf Bereicherung und die nur allzu berechtigte Furcht vor relativer Deklassierung – teils zu wecken, teils zu nutzen und dafür zu sorgen, dass äußerst fähige, ambitionierte und tatkräftige Personen in wirtschaftliche Leitungspositionen rekrutiert und dort gehalten würden. Trotzdem sagte Schumpeter den Niedergang des Kapitalismus voraus. Indem er sich ausbreite, beschädige er seine sozialen Voraussetzungen. Schumpeter zeigte dies u.a. an der sozialen Institution der Großfamilie, die lange Zeit eine Motivations- und Kraftquelle für kapitalistische Unternehmer gewesen sei, aber durch den vom Kapitalismus geförderten Geist der Zweckrationalisierung und Individualisierung zunehmend ausgehöhlt werde. Der Kapitalismus werde an den ungewollten Konsequenzen seines Erfolgs scheitern.[ 11 ]
    Schumpeters Werk hat Kritik erfahren. Seine Prognose ist von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht oder nur wenig bestätigt worden. Sein Begriff der Innovation war zu sehrauf Einzelpersonen und große diskontinuierliche einzelne Akte fixiert. Seine Vorstellung von 50–60jährigen Konjunkturwellen («Kondratieffs») bleibt sehr umstritten. Seine Entscheidung für den Begriff «Kapitalismus» hat im
mainstream
der Ökonomen keine Nachfolge gefunden, die Gesellschaft, Politik und Kultur immer seltener zum Bereich ihrer Zuständigkeit rechneten. Aber Schumpeters Werk lebt in Anlehnung und Widerspruch weiter. Es ist für die Kapitalismusgeschichte unersetzbar.
3. Andere Stimmen und eine Arbeitsdefinition
    Es gab zahlreiche andere Beiträge zur Schärfung des Begriffs. John Maynard Keynes sah in den 1920er und 1930er Jahren die Essenz des Kapitalismus in seinem Appell an die «money-making and money loving instincts of individuals as the main motive force of the economic machine». Launen, Gefühle und Zufälle spielten nach seinem Urteil im Kapitalismus eine große Rolle, nicht allein Zweckrationalität und Rechenhaftigkeit, die Max Weber so sehr betont hatte. Er sah in ihm «animalische Triebe» («animal spirits») am Werk, die er nicht nur distanziert und befremdet beobachtete, sondern als wichtige Triebkräfte des kapitalistischen Wirtschaftens erkannte, das nach seiner Überzeugung unter den Zwängen unkalkulierbarer Unsicherheit stattfindet und solche Treibsätze braucht. Dieses Urteil des mit dem Geschäftsleben seiner Zeit bestens vertrauten, scharfsinnigen Spitzen-Ökonomen weist auf die durch Emotionen zu schließenden Lücken in der Zweckrationalität des Kapitalismus hin. Die Kritik am Finanzkapitalismus nach seiner bisher letzten großen Krise seit 2008 griff darauf zurück.[ 12 ]
    Karl Polanyis erstmals 1944 veröffentlichtes Buch «The Great Transformation» benutzte zwar den Begriff «Kapitalismus» kaum. Doch es behandelte, vor allem an englischen Beispielen des 19. Jahrhunderts, die Herausbildung einer sich aus ihrer politischen und sozialen «Einbettung» lösenden, tendenziell selbst-regulierenden Marktwirtschaft, deren Dynamik nach Polanyi in scharfem Widerspruch zu den Integrationsbedürfnissen der Gesellschaft stand. Der als selbständiges Teilsystem ausdifferenzierte Markt erschien Polanyi als «teuflischer Mechanismus»,er sprach von «satanic mills», der zu ständigem Wandel zwinge, das soziale Gewebe zerreibe und die Entstehung einer
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