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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Die virulenten nationalistischen Ideologien dieser Zeit gingen mit institutionellen Prozessen der Staatsbildung einher, die alle möglichen Arten von Inklusion und Exklusion beinhalteten, von rechtlichen Beschränkungen, die die Staatsbürgerschaft regelten, über Konstruktionen professoraler historischer Praktiken, die auf bestimmte staatliche Akteure zugeschnitten waren (und diese glorifizierten), bis hin zu Programmen ethnischer Säuberung. Das Kapitel von Charles S. Maier betrachtet den Aufbau verschiedenartiger moderner Staaten vor dem Hintergrund der zerstörerischen Kräfte, die den ländlichen Raum kommodifizierten. Darüber hinaus befeuerten konkurrierende Varianten moderner Nationalismen den «Hochimperialismus» dieser Zeit sowie die Rivalitäten, die in Dutzenden regionaler und lokaler Konflikte sowie in zwei großen Weltkriegen zum Ausbruch kamen. Staatsbildung, Imperium und bewaffneter Konflikt förderten Ideologien kultureller Gebundenheit. Zudem war es so: Je stärker Handelsströme, Migration und imperiales Ausgreifen verschiedene Völker dieser Welt zusammenbrachten, desto deutlicher wurden die Distinktionen mit dem Etikett «rassenspezifisch» sichtbar. Im Zuge dessen, was Sebastian Conrad als «Globalisierung des Nationalen» bezeichnet hat, begannen um die Jahrhundertwende viele Staaten – nicht nur in Europa – damit, sich als kulturelle Einheiten zu begreifen. Sowohl koloniale als auch antikoloniale Bewegungen griffen oft monokulturalistische Diskurse auf. Es war somit gerade die Vernetztheit dieser Epoche, die zur Ausbreitung von Ideologien nationaler Separiertheit führte, und das ist eigentlich gar nicht so verwunderlich. Nationalismen, das haben Christopher A. Bayly und Sebastian Conrad gezeigt, werden transnational erzeugt.[ 7 ]
    Als neue Formen des Kontakts zwischen den Völkern dieser Welt die Unterschiede hervortreten ließen und als das Zusammenspiel von nationalistischen und imperialen Visionen zu Zusammenstößen führte, verdüsterte sich unser Zeitraum durch beispiellose Gewaltausbrüche. Die Kriegsführung ist ein weiteres Thema, das sich durch die Kapitel zieht, denn die technologischen Revolutionen dieser Ära bewiesen ihre Fähigkeiten beim Töten möglicherweise besser als beim Verbinden. Wissenschaft und Ingenieurskunst, die deren Apostel einst als politisch neutrale Bereiche gepriesen hatten, konnten tödlich werden, wenn es um imperiale Macht, nationalen Stolz und potentielle Profite ging.
    Vor den Weltkriegen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfachten Nationalismus und empire building zahllose regionale Konflikte und Gewaltsausbrüche in den Peripherien, frontiers und Kolonien weltweit. Der Deutsch-französische Krieg von 1870/71, der Zulukrieg von 1879, der Japanisch-chinesische Krieg von 1894/95, der Russisch-japanische Krieg von 1904/05 oder die Burenkriege (1880/81, 1899–1902) waren Konflikte mit einem konkreten Namen, aber die Gewalt war viel verbreiteter, als dass eine Auflistung einzelner «Kriege» genügen würde, um das Phänomen adäquat zu erfassen. An Orten wie dem Westen Amerikas, in Australien, Argentinien, Deutsch-Südwestafrika und anderswo entfernten europäische Siedler systematisch, durch Ermordung und Entbehrung, die angestammte Bevölkerung von begehrtem Land. Am meisten Zwangsgewalt und Tod gab es in rohstoffreichen Gebieten. So kamen im Kongo unter Leopold II. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vermutlich zehn Millionen Menschen um. Die Deutschen setzten bei der Niederschlagung der Aufstände von Herero und Nama in ihrer südwestafrikanischen Kolonie auf Völkermordmethoden. Im Philippinisch-amerikanischen Krieg 1899–1903 dezimierten US-Truppen die philippinischen Widerstandskämpfer, pferchten Zivilisten in Lager und gingen im Moro-Konflikt, der sich bis 1913 hinzog, noch deutlich härter gegen den Widerstand auf der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Insel Mindanao vor. Britisch-ägyptische Truppen nutzten ihre überlegene Feuerkraft, um Zehntausende zu töten und das Regime des Mahdi im Sudan 1898 zu stürzen. Wie diese Beispiele zeigen, dienten die Kolonialgebiete oft als «Übungsgelände» für Truppeneinheiten; jede der Hauptkriegsparteien in den Weltkriegen hatte sich zuvor in kolonialen oder regionalen Konflikten «warmgelaufen». Wie Charles S. Maier deutlich macht, wurde das Führen von Kriegen zu einem wichtigen Faktor der Staatsbildung.
    Nationalismus und empire building führten zu immer größerem
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