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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
Autoren: Andreas Rödder
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öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum Erholungswesen, einschließlich der Finanzierung des Rechts auf Arbeit durch unproduktive Beschäftigungsstrukturen. Ihr Problem war freilich von Anfang an die Finanzierbarkeit, denn die Wirtschaftskraft der DDR blieb stets hinter den hohen Erwartungen und vor allem weit hinter derjenigen der Bundesrepublik zurück – die Arbeitsproduktivität betrug, wie sich im Nachhinein herausstellte, weniger als 30 Prozent der westdeutschen.
    Anfang der achtziger Jahre mehrten sich zudem die ökonomischen Schwierigkeiten innerhalb des sowjetischen Machtbereichs, als Moskau die Öllieferungen an die Verbündeten drosselte, während die Rohölpreise auf dem Weltmarkt stiegen und obendrein die Kreditzinsen hoch waren. Dadurch geriet die DDR in eine akute Liquiditätskrise, die nur durch zwei bundesdeutsche Kredite in Höhe von 1,95 Milliarden D-Mark überwundenwerden konnte. Zugleich stieg die Auslandsverschuldung steil an. Um die dringend benötigten Devisen zu beschaffen, beschritt die DDR-Führung immer verstiegenere Wege: sei es durch Verkäufe von Blutkonserven in den Westen, durch Import von Müll aus der Bundesrepublik, durch Abschöpfung der privaten Devisenbestände über die Intershop-Läden in der DDR oder durch den regelrechten «Verkauf» von politischen Häftlingen an die Bundesrepublik.
    Darüber hinaus sah sich die DDR gezwungen, um jeden Preis, selbst unter Herstellungskosten, in den Westen zu exportieren. Die Devise «Liquidität vor Rentabilität» führte in einen Teufelskreis, denn darüber wurden Investitionen vernachlässigt und der Kapitalstock wurde verschlissen. Am Vorabend der Revolution waren die Produktionsanlagen völlig veraltet und die Bausubstanz verfiel, das Straßen- und das Schienennetz, auf dem technisch rückständige Autos und vernachlässigte Züge verkehrten, und die Kommunikationsnetze befanden sich auf dem Niveau der Vorkriegszeit, und die Umwelt litt unter schwersten Belastungen, vor allem durch die allenthalben riechbare Verfeuerung von Braunkohle.
    Mit den Innovationen blieb auch der gesamtwirtschaftliche Strukturwandel zurück, der in den westlichen Industrienationen seit den fünfziger Jahren stattgefunden hatte. Stattdessen blieb die DDR weitgehend auf einer verfallenden Stufe der ökonomischen Entwicklung stehen, geprägt durch Schwerindustrie und Landwirtschaft mit hohem Beschäftigungsgrad – Branchen, die in der Bundesrepublik wie im gesamten Westen durch den Strukturwandel hin zu einem größeren Dienstleistungssektor über Jahrzehnte erheblich reduziert worden waren. In den achtziger Jahren verlor die DDR endgültig den Anschluss an die technologisch-ökonomische Entwicklung, wobei die Führung der DDR die Bedeutung der mikroelektronischen Revolution durchaus erkannt hatte. So legte die DDR ein staatliches Programm auf, das der stürmischen Entwicklung in den westlichen Industrienationen allerdings nicht folgen konnte. Das mikroelektronische Projekt der DDR endete als gigantische Investitionsruine und verschärfte die Probleme abermals. Und die Mikroelektronikwar nur ein Beispiel dafür, dass es der DDR-Wirtschaft grundsätzlich und mehr denn je an weltmarktfähigen Produkten und dem zugehörigen ökonomischen und technologischen Wissen mangelte.
    Lag im Verschleiß des Kapitalstocks das strukturelle Hauptproblem der DDR-Wirtschaft, so stand akut die Auslandsverschuldung im Mittelpunkt. Dabei war die Verschuldungssituation weniger bedrohlich als Anfang der achtziger Jahre. Hinter der Überschuldung der DDR jedoch zeichnete sich die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit ab, und die wollte die DDR-Führung um jeden Preis vermeiden, um nicht unter das für den Sozialismus tödliche Diktat westlicher Finanzaufsicht zu geraten. Umso niederschmetternder wirkte daher der Satz, den Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, in einer zunächst vertraulichen «Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen» Ende Oktober 1989 schrieb: «Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25–30 % erfordern und die DDR unregierbar machen.»
    Schon vorher freilich wuchs der Unmut über die Versorgungslage in der ostdeutschen Gesellschaft und verband sich mit einer wachsenden allgemeinen Unzufriedenheit. Da seit dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 der Weg versperrt war, die DDR zu verlassen, hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Vorgegebenen arrangiert,
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