Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
Autoren: Andreas Rödder
Vom Netzwerk:
nutzen würden, um seinem Beispiel kommunistischer Reformen zu folgen. Stattdessen schafften sie den Kommunismus ab und sagten sich von Moskau los.
    Den Anfang machten die Polen. Nachdem die gewerkschaftlichkatholische Oppositionsbewegung noch 1981 von den herrschenden Kommunisten gewaltsam unterdrückt worden war, erwachte Solidarnosc in der Ära von Glasnost und Perestroika alsbald wieder. Als die Warschauer Regierung Anfang 1988 zum wiederholten Male Preiserhöhungen verfügte, brachen wenig später wilde Streiks aus. Da die polnische Führung keine Rückendeckung aus Moskau zu erwarten hatte und nicht bereit war, erneut das Kriegsrecht zu riskieren, führte kein Weg mehr an der Opposition vorbei.
    Die kommunistische Partei musste sich mit der Opposition an einen «Runden Tisch» setzen, und im Juni fanden Neuwahlen zum Sejm statt. Es waren zwar nur eingeschränkt freie Wahlen, weil die bisherige Staatspartei sich ein Kontingent der Sitze vorbehalten hatte. Im frei wählbaren Anteil jedoch erzielte die wieder zugelassene Solidarnosc überragende Erfolge, und in den tatsächlich freien Wahlen zum wieder eingeführten Senat gewann sie gar 99 von 100 Sitzen. Die Opposition verfügte wenn auch nicht über eine Parlamentsmehrheit, so doch übereine überwältigende Legitimation, die dem Regime vor aller Augen versagt worden war. Im August 1989 wurde Tadeusz Mazowiecki als erster nichtkommunistischer Ministerpräsident vereidigt, und als im Januar 1990 die kommunistische Partei aufgelöst wurde, war Polen bereits kein kommunistischer Staat mehr.
    Neben Polen trieb auch Ungarn den Untergang des sowjetischen Imperiums voran. Hier allerdings erwuchs die Krise der kommunistischen Herrschaft aus der regierenden Partei selbst heraus. Die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei hatte bereits im Januar 1989 auf ihre verfassungsmäßig garantierte Führungsrolle verzichtet. Bevor sie sich Anfang Oktober spaltete, hatte die ungarische Regierung etwas Unerhörtes getan: Am 11. September hatte sie die Grenze nach Österreich geöffnet und damit die Krise in der DDR erheblich verschärft. Als im November und Dezember auch die kommunistische Herrschaft in der Tschechoslowakei und in Rumänien zusammenbrach, war das SED-Regime in Ost-Berlin bereits am Ende.
2. Strukturprobleme der DDR
    Das Ende der sowjetischen Herrschaft war die erste von drei Ursachen für den Untergang des SED-Regimes in der DDR, wenn man Ursachen als veränderliche Umstände versteht, ohne die ein Vorgang nicht möglich wäre. «Erich, ich sage dir offen, vergesse das nie», so hatte Leonid Breschnew im Juli 1970 zu Erich Honecker gesagt: «die DDR kann ohne uns, ohne die SU, ihre Macht und Stärke nicht existieren. Ohne uns gibt es keine DDR.» Freilich entstand daraus kein Automatismus, denn durch Gorbatschows Widerruf der Breschnew-Doktrin und die Abschaffung der sowjetischen Bestandsgarantie war die Herrschaft der SED noch nicht zusammengebrochen. Dafür bedurfte es zweitens der Oppositionsbewegung, die 1989 sprunghaft an Zahl und Stärke gewann. Sie traf – drittens – auf eine überalterte, in orthodoxem DDR-Sozialismus erstarrte Führung, die gar nicht verstand, was um sie herum geschah, und die kaum zu reagieren vermochte.
    Diese variablen Umstände trafen auf drei strukturelle Voraussetzungen, die für die SED mit sowjetischer Unterstützung beherrschbar gewesen waren, unter den neuen Umständen nun aber virulent wurden: erstens die mangelnde Legitimität des SED-Regimes und mithin des gesamten Staates bei der Mehrheit der Bevölkerung, zweitens die permanente Präsenz der Bundesrepublik als eines freiheitlich-demokratischen und wohlhabenden Gegenbildes in der DDR und drittens die Probleme einer dysfunktionalen Planwirtschaft und der Versorgungsmängel, die im Laufe der achtziger Jahre deutlich zunahmen.
    Zu den indigenen Funktionsschwächen der zentralen Planwirtschaft kamen seit dem Amtsantritt Erich Honeckers als Generalsekretär der SED 1971 die wachsenden Lasten aus dem Vorrang der Sozial- vor der Wirtschaftspolitik hinzu, mit der die SED unter der Parole «Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik» hoffte, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen, und von der Egon Krenz, Mitglied des Politbüros und Honeckers Kronprinz, im Mai 1989 sagte: «Sie muss fortgeführt werden, denn sie ist ja der Sozialismus in der DDR!» Sie umfasste ein Bündel von Sozialleistungen, vom Wohnungsbau über die Subventionierung von Lebensmitteln und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher