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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition)
Autoren: Harald Gilbers
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untertauchen!«
    Oppenheimer widerstrebte diese Vorstellung zunächst, doch schließlich musste er sich eingestehen, dass Lisa recht hatte. Hilde war jetzt seine einzige Hoffnung. »Nun ja, vielleicht ist es möglich, da etwas zu organisieren. Aber es ist nicht nötig.«
    »Richard, versprichst du mir, abzutauchen?«
    Oppenheimer grummelte unverständlich vor sich hin. Er hasste es, wenn Lisa ihm ein Versprechen abverlangte. Das war ihre Art, Befehle zu geben.
    Es war gut, am Wochenende dem Judenhaus zu entfliehen. Obwohl Oppenheimer und Lisa an sich eine harmonische Ehe führten, hatte sich herausgestellt, dass die Enge ihrer Behausung ein Belastungsfaktor war. Aus diesem Grund hatte es sich mit der Zeit so eingespielt, dass jeder am Sonntagnachmittag für ein paar Stunden seiner Wege ging.
    Lisa begleitete Oppenheimer nur selten, wenn er Hilde besuchte. Er wusste, dass ihm eine andere Ehefrau wohl kaum erlaubt hätte, sich jeden Sonntag unbeobachtet mit einer Freundin zu treffen. Obschon Lisa ohnehin nie zu Eifersüchteleien geneigt hatte, war auffällig, wie gelassen sie reagierte. Oppenheimer konnte über die Gründe nur spekulieren. Möglicherweise lag es daran, dass Hilde gute zehn Jahre älter war als er und deswegen von Lisa nicht als Konkurrentin eingestuft wurde. Vielleicht spielte dabei auch eine Rolle, dass sie auf diese Weise die Gewissheit besaß, dass er in Sicherheit war. Hilde hatte wiederholt bewiesen, dass man auf sie zählen konnte.
    Oppenheimer wiederum hatte Lisa in den letzten Jahren immer dazu ermutigt, ihren eigenen Bekanntenkreis zu pflegen, da er sie nicht zu sehr von sich abhängig machen wollte. Er konnte nicht ausschließen, dass die Gestapo ihn irgendwann abtransportieren würde. Zu viele Juden in einer Mischehe waren bereits umgebracht worden, als dass man sich darauf verlassen konnte, durch den arischen Partner geschützt zu sein.
    Als Oppenheimer schließlich Hut und Mantel genommen hatte, um zu gehen, zögerte er. Schließlich holte er aus der Innentasche seines Mantels ein Medikamentenröhrchen hervor.
    »Hier, nimm das«, sagte Oppenheimer und drückte Lisa eine seiner Pervitin-Tabletten in die Hand.
    Lisa stutzte. »Aber du brauchst sie doch …«
    »Ich habe noch genug für eine Weile«, flunkerte Oppenheimer und umarmte sie zum Abschied. Es widerstrebte ihm, Lisa wieder loszulassen, doch er musste fort.

    Bevor sich Oppenheimer durch die Haustür wagte, nahm auch er eine Pervitin-Tablette. Da er kein Wasser hatte, zerkaute er sie und schluckte sie hinunter. Wenn sich Oppenheimer nicht gerade um Lisa sorgte, konnte er sonst kaum noch etwas fühlen. Zu vieles war in den letzten Monaten geschehen. Todesfälle gehörten mittlerweile zum Alltag. Selbst das eigene Schicksal ließ sich kaum beeinflussen. Doch er wusste, dass in knapp einer halben Stunde die Wirkung des Pervitins einsetzte, und dann konnte ihm nichts mehr etwas anhaben. Eine Tablette gab ihm die nötige Energie, um es durch den Tag zu schaffen. Da die Wirkung nach mehreren Monaten des regelmäßigen Konsums allmählich nachließ, hätte Oppenheimer eigentlich die Dosis erhöhen müssen, doch aufgrund seines knappen Vorrats gestattete er sich nur eine Tablette pro Tag.
    Derart gestärkt trat er auf den Gehsteig hinaus. Brandgeruch drang in seine Nase. Das Licht war diesig, der Himmel schwefelgelb verhangen. Obwohl es erst zwei Uhr nachmittags war, schien es im Osten vorzeitig Nacht geworden zu sein, da schwarze Rauchwolken die Innenstadt verhüllten.
    Oppenheimer überlegte kurz, ob es sinnvoll war, mit der Tram oder mit der U-Bahn zu Hilde zu fahren. Doch dann verwarf er diesen Gedanken. Nach dem heutigen Angriff waren die Abfahrtszeiten zweifelsohne völlig durcheinandergeraten. Um bis zu Hildes Haus zu gelangen, brauchte er zu Fuß knapp zwei Stunden. Also schlenderte er wie bei einem sonntäglichen Spaziergang über die Hansabrücke in Richtung der Siegessäule.
    In der Regel reagierten die Passanten nur selten unfreundlich, sobald sie den Davidstern erspähten. Manchmal nickten sie sogar verständnisvoll. Vor Kindern und hundertfünfzigprozentigen Nazis musste man jedoch auf der Hut sein. Die Gestapo hatte sich merkwürdigerweise in den letzten Monaten still verhalten und schien die verbliebenen Juden in der Stadt zu ignorieren. Obwohl es wahrscheinlich daran lag, dass die Gestapo-Männer seit der Luftoffensive der Alliierten wichtigere Probleme hatten, fiel es Oppenheimer schwer, diesem Frieden zu trauen.
    In der
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