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German für Deutsche

German für Deutsche

Titel: German für Deutsche
Autoren: Jo Wueller
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weil Journalisten Spaß am Wörter-Sampling haben. Eine » Prosecco-Pipeline« (ironische Neuschöpfung für die Alkoholkanäle, die für eine Galerie-Eröffnung zu legen sind) oder das » Oldschool-Einparken« (ohne elektronische Fahrhilfen) haben eine derart geringe Häufigkeit wie Halbwertszeit, dass wir uns entweder nicht um sie kümmern müssen oder sie sowieso verstehen, weil die Bausteine geläufig sind.
    Um Wortbausteine habe ich mich daher redlich gekümmert, die Vielfalt der Komposita musste ausgeklammert bleiben, wenn es nicht, wie beim Facility Management, eine sehr eigenständige Bedeutung zu klären gibt.
    Während dies Buch beim Verlag in Produktion ging, fanden sich beiläufig und mühelos etwa zwei frische oder bisher unentdeckte Anglizismen pro Woche. Das sind 100 pro Jahr. Neuauflagen dieses Buches sind also schon kalkulierbar, wenn Sie, lieber Leser, das Thema mögen.
    Wer macht heute die neuen Wörter?
    » Ich kenne kein einziges deutsches Wort, das durch ein englisches ve rd rängt worden wäre. Es werden nur Bedeutungen weiter differenziert.« Prof. Rudolf Hoberg, Germanist, seit 1999 Vorsitzender der Gesellschaft fü r d eutsche Sprache, aus einem Interview in der FAZ , 25. Juli 2010
    Im Deutschen tauchen unentwegt neue Wörter – oder eben: Neologismen –, und wenn diese in Wendungen verpackt sind: Neophraseologismen auf. (Das sind Fremdwörter und zugleich Fachwörter, die man sich als Fachfremder nicht merken muss.) Plötzlich wird vom Dreiliterauto, dem Ereignisfernsehen oder dem Gutmenschentum gesprochen. Wo kommen diese Wörter her? Aus den Medien. Die erfinden sie teils selbst, teils werden sie von Unternehmen, Institutionen, der Politik und deren Dienstleistern ( PR - und Werbeagenturen) erfunden und den Medien so zugespielt, dass diese zugreifen. Neue Wörter schaffen Aufmerksamkeit. Sie unterstellen neue Produkte, neue Erlebnisangebote, neue Erfahrungsoptionen. Die Politik spricht von der Bildungsgerechtigkeit und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf potenzielle Ungerechtigkeiten. Der Bildungsbetrieb erfindet den Exzellenzwettbewerb und signalisiert, dass es mit Chancengleichheit alleine nicht getan ist, wenn Deutschland im globalen Wettbewerb bestehen will.
    Fast 2500 Neologismen wurden im Deutschen Neologismen-Wörterbuch von 2007 präsentiert. Es erfasst die Jahre 1995 bis 2006. Nur etwa zwei Prozent davon sind » echte« Anglizismen, denen die englische Herkunft anzusehen und anzuhören ist. Die überwiegende Mehrheit sind Wortzusammensetzungen, deren Bestandteile geläufig sind.
    Aber beschwert sich ein Sprachwächter über neue Wörter wie » Beratungsresistenz«, » Exoplanet«, » Futtermittelskandal« oder » Privatinsolvenz«? Es sind immerhin gesellschaftliche Phänomene, frisch Erforschtes, neue Produkte und Dienstleistungen, die hier ihre sprachliche und soziale Existenz demonstrieren. Sollen die Wörter abgeschafft werden, nur weil Gesellschaftsbewohner mit geringen geistigen Verarbeitungskapazitäten mit dem Übermaß an Neuem gedanklich, sprachlich, orthographisch nicht klarkommen?
    Neologismen sind gleichsam die Obergruppe, in die sich Entlehnungen aus Fremdsprachen einordnen lassen. Deutschsprachige Neologismen haben den Vorteil, dass ihre Bestandteile durchschnittlichen Sprechern des Deutschen meist bekannt sind. In der Koppelung erscheint das neue Wortgefüge dann aber oft umso fremder. Der irritierte Leser/Sprecher traut sich in diesen Fällen jedoch meist nicht, nach der Bedeutung zu fragen oder die vermeintliche Nützlichkeit des neuen Wortes in Frage zu stellen. Was » Demokratievermittlungsagenturen« wirklich tun, um » Wissensvermittlungskreisläufe« in Gang zu halten oder zu bringen, bleibt meist unbeantwortet.
    So treten viele neue Wörter sogleich als Hohlwörter auf. Hohlwörter sind Wörter, die wichtig auftreten, wenig beinhalten, nur ungenau verstanden werden und von ihren Benutzern als verbale Pissmarken platziert werden, nach dem Motto » Hier gibt es für andere nichts mehr zu sagen!«. Hohlwörter sind verwandt mit den Plastikwörtern. Die hat der Mittelalterforscher Uwe Pörksen schon Ende der 80er Jahre als eben solche identifiziert. Das sind Wörter wie » Information« und » Kommunikation«, » Projekt« und » Prozess«, » Faktor« und » Fortschritt«, » Entwicklung« oder besser noch: » Evolution«. Wörter mit restwissenschaftlicher Aura, aber zugleich Allerweltswörter, weil nahezu universell einsetzbar und bevorzugt genutzt von
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