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German für Deutsche

German für Deutsche

Titel: German für Deutsche
Autoren: Jo Wueller
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Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die durch » Projekte« (noch ein Plastikwort) um Drittmittel werben müssen.
    Heute redet aber auch keiner mehr von » Plastikwörtern«, sondern vom Bullshitten, der Tätigkeit, die im Absondern von sprachlichem Dreck besteht. Vielleicht ist es auch an der Zeit, unter dem Deckmantel des Englischen das drastischere Wort der Kritik am öffentlichen Sprachgeseiere zur Verfügung zu stellen.
    Da lobe ich mir manchen Anglizismus, weil er zumindest von denen verstanden wird, die ihn erfinden und in Umlauf bringen. Wenn US -Jugendliche am Strand Volleyball spielen, das Treiben beachen nennen und das Verb von deutschen Jugendlichen aufgegriffen wird – wobei das globale Sportmarketing hilft –, dann geht es wenigstens um etwas Handgreifliches.
    Womit auch angedeutet ist, welche Bedeutung die Jugendsprache für die Entstehung von Anglizismen hat: In den USA werden Jahr für Jahr neue Trendsportarten, neue Musikrichtungen, neue Stylingwelten in Sachen Mode und Design erfunden. Da müssen frische Wörter her. Der Ursprung manchen neuen Wortes liegt in der Alltagskommunikation von Kids. Die beachen bei gutem Wetter, die dissen einen Kumpel oder dunken einen Ball in den Korb.
    Und wie breitet sich der Wortgebrauch aus? Idealtypisch seit den 80er Jahren im ersten Schritt durch Trendscouts. Das sind bezahlte Jung-Agenten im Dienst von Unternehmen, die Produkte für junge Märkte produzieren. Diese Streetlife-Agents beobachten und belauschen Szenen, picken frische Sitten, Moden, Wörter auf und reichen sie an das Marketing weiter. Die produzieren passende Produkte, übernehmen die belauschten Wörter und reichen Produkt samt Wording an die Medien weiter. Der Rest ist Sache cleveren Medienmarketings.
    Sind spracherfinderische US -Kids nun » schuld« an der Verbreitung ihrer verbalen Spontanerfindungen? Wie immer in komplexen Systemen, lassen sich bei genauem Hinsehen Verantwortlichkeiten keinem einzelnen Akteur zurechnen.
    Ein Beispiel: Seit Anfang der 80er Jahre gibt es Grunge, eine populäre Musikrichtung, bei der raue, verzerrte Gitarrenklänge (engl. distortion: » Verzerrung«) eine prägnante Rolle spielen. Engl. grunge heißt » Schmutz«. Aber noch nicht sehr lange. In den 60er Jahren tauchte in den USA in Jugendszenen grungy auf. Ein Neologismus; plausibel ist die Vermutung, dass grungy als Kofferwort aus engl. grubby ( » schmuddelig«) und engl. dingy ( » schäbig«) entstanden ist. Lautmalerisch interessante Wörter werden gerne verschnitten, nicht nur von Jugendlichen.
    Die 60er waren das erste Jahrzehnt, in dem Jugendkultur massiv die weltweite Medienberichterstattung beeinflusste. So konnten grungy und das abgeleitete Substantiv grunge im Englischen heimisch werden. Fast zwanzig Jahre später, 1981, spielte Mark Arm, Sänger einer Band aus Seattle, ein cleveres Medienspiel. Er schrieb unter falschem Namen einen ruppigen Leserbrief an ein Musikmagazin, in dem er die Musik seiner eigenen Band als » Pure grunge! Pure noise! Pure shit!« abkanzelte . Die Redaktion freute sich. Böse Briefe vermeintlich reaktionärer Wutbürger umwerten – das ist ein bewährter rhetorischer Trick der Medien. Man zeigt seinen Lesern zugleich, dass man gegen das Establishment ist. So verbreitete sich Grunge als Bezeichnung für einen frischen Musiktrend sehr schnell in der globalen Musikberichterstattung. Und heute können sogar Spiegel und Stern das Etikett in ihre Popkulturtexte einfließen lassen, die sie brauchen, um halbmodern auf Halbjunge zu wirken.
    Die Moral von der Anekdote: Ohne das Ineinandergreifen vieler Akteure mit sehr unterschiedlichen Interessen könnten Neologismen des einen Landes nicht zu Anglizismen in anderen Ländern werden.
    Denken wir beim Schmökern in diesem Band auch daran: Das englisch tönende Fremd- oder Neuwort ist nur eine bescheidene Untergruppe der Wortschöpfungen, mit denen ein Medienkonsument heute konfrontiert wird. Es sind seit den 80er Jahren mit ihrem technologisch gestützten Konsum- und Globalisierungsschub mehr Wörter als je zuvor, die sich als neu aufdrängen.
    Einige Gründe dominieren: Es wird mehr Neues produziert (Blu-ray-Player, Tablet-Rechner, Hörbücher, Hybridautos, Lithium-Ionen-Batterien), es entstehen durch neue soziale Prozesse neue Phänomene (Leihbeamte, Schwangerenkonfliktberatungen), und es wird über alles berichtet, was nur berichtbar ist. Da es mehr Medien als jemals zuvor gibt, ist Neues das begehrteste Rohmaterial zur
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