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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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ausgesetztes Leben ist narzißtisch, es ist ein armseliges Leben. Aber zu einem gelungenen Leben gehört ab und an ein gewisses Bewußtsein für die Werte, die dieses Leben zum Ausdruck bringt oder verneint. Das Leben muß in mehr bestehen, als sich von unhinterfragten Gewohnheiten auf den Trampelpfaden der Erwartung und der Belohnung schleifen zu lassen. Wie die Philosophen der Antike warnten, ist auch das ungeprüfte Leben ein schlechtes Leben. Gewisse ethische Überzeugungen, auf die man zumindest ab und an auch sein Handeln stützt, sind für ein verantwortungsbewußtes Leben wesentlich.
    Die Idee der Authentizität hat verschiedene Dimensionen. Wenn Sie etwas auf Ihre eigene Weise tun, dann ist das auch dann kreativ, wenn dieses »Etwas« wohlbekannt ist. Es kommt auf den Stil an, meines Erachtens sogar sehr. Aber Stil ist nicht alles, denn auch Wertschätzung ist von Bedeutung. Wenn Sie niemals Anlaß hatten, darüber nachzudenken, was für Sie in Ihrer Situation eine gelungene Lebensführung ausmachen würde, ist das ein Manko ebenjener Lebensführung. Ein solches Nachdenken kann unter Umständen letztlich einen Skeptizismus zur Folge haben und Sie zu dem Gedanken verleiten, daß
709 es eigentlich gleichgültig ist, wie Sie leben. Mit diesem Gedanken zu leben, verleiht Ihnen, ob er nun richtig oder falsch ist, aber letztlich mehr Würde, als diese Möglichkeit nie auch nur ins Auge gefaßt zu haben. Für viele Menschen besteht das gute Leben darin, den Geboten einer bestimmten Religion zu gehorchen. Ob die implizierte Kosmologie nun richtig oder falsch ist, ändert nichts daran, daß ein solches Leben Ihrer Würde nicht im vollen Sinn gerecht wird, wenn Sie über diese Kosmologie niemals auch nur nachgedacht haben.
    Das hier vorgeschlagene erste Prinzip besitzt eine andere, substantiellere Kraft. Ein gutes Leben darf nicht trivial sein, und daß ein Mensch selbst seinem Leben die entsprechende Wichtigkeit zusprechen würde, besagt noch nicht, daß sie auch tatsächlich gegeben ist. Jemand, der sich ganz einem trivialen Hobby widmet – denken Sie an den Streichholzschachtelsammler –, schafft damit kein gutes Leben, selbst wenn seine Sammlung ihresgleichen sucht, er immer im Einklang mit der Würde handelt und anderen Menschen mit der angemessenen Achtung für die Wichtigkeit ihres Lebens begegnet. Sein Leben mag aus einem anderen Grund gut sein – andernfalls hat er es vergeudet.
    Es ist schwer zu sagen, was einem Leben Gewicht und nicht nur Würde verleiht; was also mit anderen Worten notwendig ist, um es zu einem guten Leben zu machen. Das Leben mancher Menschen ist aufgrund großer und langlebiger Leistungen gut, aber wie wir gesehen haben, wird das nur auf sehr wenige Menschen zutreffen.
 1 Meistens hängt es mit sehr viel vergänglicheren Konsequenzen zusammen, etwa der Beherrschung eines schwierigen Handwerks, dem Gründen und Erhalten einer Familie oder mit Beiträgen zur Verbesserung des Lebens anderer Menschen. Ein Leben kann auf viele tausend Weisen gut sein, aber neben der Trivialität gibt es Tausende weitere Weisen, wie es schlecht oder zumindest weniger gut sein kann, als es hätte sein können.
    Armut kann ein Leben schlecht machen, aber die Ökono
710 mie guter und schlechter Leben ist kompliziert. Lassen Sie mich eine Unterscheidung und eine These zusammenfassen, die ich oben sowie an anderer Stelle ausgeführt habe.
 2 Wenn ich frage, welches Leben gut für mich wäre, muß ich zwischen zwei Aspekten meiner Situation unterscheiden: den Parametern, die meine Antwort beeinflussen – meiner Kultur, meinem Hintergrund, meinen Talenten, Präferenzen und Bindungen –, und den Einschränkungen, die es schwierig oder unmöglich machen, das Leben – oder überhaupt eines der Leben – zu leben, die von diesen Parametern als gut identifiziert werden. Krankheiten und körperliche Behinderungen zählen als Einschränkungen und nicht als Parameter; sie tragen nicht dazu bei zu bestimmen, welches Leben gut für mich wäre, sondern können mich vielmehr zu einem schlechten Leben verdammen.
    Meine materiellen Ressourcen und ökonomischen, sozialen oder politischen Möglichkeiten können sowohl Parameter als auch Einschränkungen darstellen. Jene, die allein auf den ökonomischen Entwicklungsstand meiner Gemeinschaft zurückzuführen sind, muß ich als Parameter behandeln, da ich nicht einfach davon ausgehen kann, daß mein Leben schlecht ist, weil die Epoche oder die Gegend, in der ich lebe,
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