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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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Slave Act letztlich entweder doch nicht für gültiges Recht zu halten, was der so gut wie von allen geteilten Meinung entgegenzustehen scheint, oder zu meinen, die Richter hätten eben eine Pflicht, auch dieses unmoralische Gesetz durchzusetzen.
    Bevor wir unsere Antwort auf diesen Einwand formulieren, sollten wir uns an die schlagenden Argumente gegen die Zwei-Systeme-Sichtweise erinnern, die wir bereits diskutiert haben. Diese Vorstellung ist einfach keine Option, und daher müssen wir innerhalb der integrierten Auffassung eine Erklärung für das Rätsel unmoralischen Rechts finden. Lassen wir die terminologische Frage – ob wir den Fugitive Slave Act als Recht bezeichnen sollten – einmal beiseite und konzentrieren uns zunächst auf die zugrundeliegende moralische Frage. Hatten die Richter angesichts ihrer Rolle und der Umstände eine politische Verpflichtung, zugunsten der Sklavenhalter zu urteilen, die ihr entflohenes »Eigentum« zurückverlangten? Diese Frage ist komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Nehmen wir an, daß der US -amerikanische Kongreß eine hinreichend große Legitimität besaß, so daß seine Entschlüsse normalerweise politische Verpflichtungen schufen. Die strukturierenden Prinzipien der Fairneß, die das Recht zu einem
695 identifizierbaren Teil der politischen Moral machen – Prinzipien der politischen Autorität, der Präjudiz und der Verläßlichkeit –, haben den Ansprüchen der Sklavenhalter mehr moralisches Gewicht verliehen, als sie andernfalls hätten. Aber ihre moralischen Ansprüche sind dennoch ohne Zweifel durch ein stärkeres moralisches Argument, das sich auf die Menschenrechte bezieht, ausgehebelt worden. Aus diesem Grund hätte das Gesetz nicht umgesetzt werden sollen. Nehmen wir also an, daß dies die richtige Antwort auf die grundlegende moralische Frage ist.
    Wenden wir uns nun der terminologischen Frage zu. Hier scheinen wir vor einer Wahl zu stehen. Wir könnten sagen, daß die Sklavenhalter im Prinzip ein politisches Recht hatten, ihre Sklaven zurückzufordern, daß dieses Recht im Vokabular des 14. Kapitels aber durch eine Notsituation – in diesem Fall durch eine moralische Notsituation – übertrumpft wurde. Diese Überlegung können wir am besten dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir sagen, was die meisten Juristen sagen würden: Das Gesetz war zwar geltendes Recht, aber zu ungerecht, um durchgesetzt zu werden. Oder wir könnten sagen, daß die Sklavenhalter nicht einmal im Prinzip das von ihnen eingeforderte Recht hatten. Diese Schlußfolgerung können wir in einer Behauptung zum Ausdruck bringen, der zumindest manche anderen Juristen zustimmen würden: Das Gesetz war zu ungerecht, um überhaupt als geltendes Recht zu zählen.
    Der erste Ansatz und damit auch die erste Ausdrucksweise scheint in diesem Fall angemessener zu sein, da er Nuancen sichtbar macht, die der zweite ausblendet. Er kann erklären, warum sich die mit diesem Gesetz konfrontierten Richter einem, wie sie selbst sagen, moralischen und nicht nur einem prudentiellen Dilemma gegenübersahen. In einem ganz anders gelagerten Fall, der in akademischen Seminaren ebenfalls häufig angeführt wird, scheint die zweite Option jedoch überzeugender zu sein. Die abscheulichen Verordnungen der Nazis haben nicht einmal fragwürdige oder Prima-facie -Rechte und
696 -Pflichten geschaffen. Der Regierung der Nazis fehlte jede Legitimität, und es gab keine anderen strukturierenden Prinzipien der Fairneß, die für eine Durchsetzung ihrer Erlasse gesprochen hätten. Es ist daher moralisch gesehen zutreffender, zu bestreiten, daß es sich bei diesen Verordnungen um Recht gehandelt hat. Die mit ihrer Durchsetzung beauftragten deutschen Richter sahen sich allein mit einem prudentiellen und nicht mit einem moralischen Dilemma konfrontiert.
    Die integrierte Theorie des Rechts erlaubt es uns im Unterschied zur in eine Sackgasse führenden Zwei-Systeme-Sichtweise, diese Unterscheidungen zu treffen. Die von diesen vertrauten akademischen Beispielen aufgeworfene wichtige Frage ist jedoch die von uns zuerst diskutierte moralische Frage. Meines Erachtens wäre es irreführend, einfach zu behaupten, daß es sich entweder beim Fugitive Slave Act nicht um geltendes Recht oder bei den Verordnungen der Nazis um geltendes Recht handelte. Das ist in beiden Fällen irreführend, weil diese Charakterisierungen moralisch bedeutsame Aspekte und Unterschiede verwischen. Ein unglücklicher Ausdruck dieser Art
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