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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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stellt aber keinen begrifflichen Fehler dar. Das altehrwürdige Problem unmoralischen Rechts gerät leider allzuleicht zu einer rein terminologischen Auseinandersetzung.
    Partielle Durchsetzung
    Andere Juristen und Autoren beziehen sich auf andere Weisen auf die Zwei-Systeme-Sichtweise. So wird manchmal behauptet, daß die US -amerikanische Verfassung juridische Rechte schafft, die von den Gerichten nicht wirklich durchgesetzt werden. Auch hier wird, so scheint es, eine Unterscheidung zwischen Theorien des Rechts und Theorien der Rechtsprechung vorausgesetzt. Als das Berufungsgericht für den District of Columbia die Entscheidung einer niedrigeren Instanz verworfen hat, die Regierung müsse zu Unrecht in Guantánamo Bay fest
697 gehaltene uigurische Häftlinge aufnehmen, wurde die folgende Erläuterung beigefügt: »Nicht jeder Verletzung eines Rechts entspricht eine Gegenmaßnahme, auch wenn es sich um ein in der Verfassung verbürgtes Recht handelt.«
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    Lawrence Sager, ein prominenter Verfechter dieser These, führt Beispiele wie das folgende an:
14 Eine Verfassung verkündet, daß die Bürger ein Recht auf ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem haben. Das Verfassungsgericht sieht sich aber nicht in der Lage, all die heiklen Fragen der Mittelzuweisung und der medizinischen Beurteilung zu entscheiden, die sich stellen würden, wenn es entscheiden müßte, auf welche Gesundheitsversorgung die Bürger nun genau einen Anspruch haben. Es weigert sich darum, dieses in der Verfassung verbürgte Recht direkt durchzusetzen. Obwohl eingeräumt wird, daß eine Regierung, die keinerlei Gesundheitsversorgung vorsieht, die juridischen Rechte ihrer Bürger verletzt, lehnt es das Gericht ab, eine bestimmte Form der Gesundheitsversorgung zu fordern. Wenn die Regierung nun aber ein Gesundheitssystem einrichten würde, würde das Gericht durchaus eingreifen, wenn Bürger sich darüber beschweren, daß die Regeln dieses Systems zu illegitimen Diskriminierungen führen oder die Gesundheitsversorgung willkürlich verweigern. Unter diesen Umständen wollen Sager und andere behaupten, daß die Bürger zwar ein juridisches und in der Verfassung verbürgtes Recht auf Gesundheitsversorgung haben, Gerichte jedoch zu Recht nur einen Teil dessen durchsetzen, worauf sie einen rechtlichen Anspruch haben. In der entscheidenden Frage – nämlich um überhaupt in den Genuß einer Gesundheitsversorgung zu kommen – müssen sich die Bürger an die Legislative wenden.
    Tatsächlich kann man die Situation auf diese Weise beschreiben, und niemand würde eine solche Beschreibung mißverstehen. Das von mir vorgeschlagene Vokabular scheint aber mindestens genauso naheliegend zu sein. Wir könnten sagen, daß nicht alle der in einer Verfassung erklärten Rechte juridische Rechte sind. Manche Rechte, etwa jene, welche die Außenpoli
698 tik berühren oder die auf sehr viel effizientere Weise von anderen Regierungsstellen durchgesetzt werden, sollten wir am besten als politische, aber nicht juridische Rechte behandeln – also als Rechte, deren Durchsetzung private Bürger nicht einfach einfordern können. Bei anderen Rechten, wie dem Recht auf gleichen Schutz im Rahmen eines von der Regierung eingerichteten Gesundheitssystems, handelt es sich tatsächlich um juridische Rechte. Welche dieser doch recht unterschiedlichen Weisen der Beschreibung der Situation ist theoretisch angemessener? Die erste Beschreibung – der zufolge manche juridischen Rechte nicht in Reaktion auf entsprechende Forderungen durchsetzbar sind – könnte sich als verlockend erweisen, wenn wir imstande wären, der Zwei-Systeme-Sichtweise und einer positivistischen Theorie der Entscheidung darüber, was Recht ist, Sinn zu verleihen. Dann ließe sich sagen, daß bestimmte in der Verfassung verbürgte Rechte zwar den Test für geltendes Recht bestehen und daher juridische Rechte sind, es aber dennoch davon unabhängige Gründe gibt, warum Gerichte nicht versuchen sollten, sie durchzusetzen. Sobald wir die Zwei-Systeme-Sichtweise aber als selbstwidersprüchlich zurückweisen, scheint es keine solide theoretische Basis für diese Position mehr zu geben. Es würde kaum Sinn ergeben, hier unsere Behauptung über den Fugitive Slave Act zu reformulieren und zu sagen, daß die Bürger ein in der Verfassung verbürgtes Prima-facie -Recht auf Gesundheitsversorgung haben, das jedoch durch eine Notsituation übertrumpft werde, welche die Richter davon abhält, es tatsächlich
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