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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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vermeintlich exter
704 nen Skeptizismus, der sich auf die eine oder andere Weise selbst untergräbt.
    Einige Philosophen – die »Realisten« – haben gegen jene imperialistische Anmaßung aufbegehrt, die sie als »Szientismus« bezeichnen. Wie wir aber vor allem im vierten Kapitel gesehen haben, ist ihr Bruch mit der etablierten Metaphysik in den meisten Fällen nicht vollständig gewesen, da sie immer noch darum besorgt waren, wie Werturteile einen minimalen aus der Metaphysik der Naturwissenschaften gewonnenen Test bestehen können, bei dem Konvergenz, eine feste Grundlage oder die Fähigkeit, bestimmte Aspekte unserer Überzeugungen und unseres Verhaltens zu erklären, verlangt wird. Nehmen wir die elementare Unabhängigkeit der Moral, der Ethik und anderer Wertbereiche jedoch wirklich ernst, dann zeigt sich, daß ein solches Anbiedern weder nötig ist noch funktioniert. Wir brauchen einen klareren Bruch, eine neue Revolution. Natürlich müssen wir zwischen verantwortungsbewußten und verantwortungslosen Meinungen unterscheiden können. Vor allem wenn es in der Politik um Fragen der Gerechtigkeit geht, sind wir hierauf angewiesen. Treffen können wir diese Unterscheidung aber nur dann, wenn wir uns auf die Idee der Wahrheit und die der Falschheit berufen. Wie wir diese Ideen und zudem die der Verantwortlichkeit, der Verantwortungslosigkeit, der Tatsachen und des Realismus verstehen sollen, müssen wir jedoch in der Sphäre der Werte selbst ausarbeiten – auf einem möglichst unbeschriebenen Blatt. Jener kolonialistischen Metaphysik gilt es jedenfalls den Rücken zu kehren.
    Einer postkolonialen Auffassung der Wahrheit sind wir in diesem Buch an vielen Stellen begegnet: bei der Erläuterung, warum es in der Politik der Wahrheit bedarf, bei der Demaskierung des externen Skeptizismus, in der Definition der moralischen Verantwortung, bei der Entdeckung der Wahrheit in der Interpretation, beim Herausarbeiten dessen, was ein interpretativer Begriff ist, und schließlich, als wir die Wahrheit als interpretativen Begriff erkannten. Der dabei zurückgelegte
705 Weg ist kontinuierlich ein Weg der Emanzipation gewesen. Ethik und Moral sind von der Physik und ihren Bundesgenossen unabhängig, und so gesehen ist die Sphäre der Werte freistehend. Die Wahrheit unserer Werturteile läßt sich nicht durch physikalische, biologische oder metaphysische Entdeckungen belegen; noch können wir sie auf diese Weise entlarven. Anstelle von Beweisen müssen wir Argumente für unsere Überzeugungen anführen, und diese Unterscheidung verleiht der Sphäre der Werte eine Art von Integrität, die wiederum einer anderen Konzeption der Verantwortung zugrunde liegt.
    Hinterläßt das ein Gefühl der Enttäuschung? In der Zeit, in der wir heute leben, ist es schwer, sich der Anziehungskraft des Szientismus ganz zu entziehen und die Unabhängigkeit der Werte vollständig zu begreifen. Denken Sie aber an die wichtigste Lehre des ersten Teils dieses Buches: Es muß eine richtige Antwort auf die Frage geben, welche Handlung die beste ist, selbst wenn diese Antwort nur lautet »keine«. Das ist kein Trick, sondern soll uns daran erinnern, daß man auf den Skeptizismus nicht einfach zurückfallen kann. Sie müssen all Ihr Mißtrauen und Ihre Skepsis – und all die falschen Hoffnungen auf externe Validierung – auch der Überzeugung entgegenbringen, daß alles egal ist, ebenso wie jeder positiven Sichtweise. Wenn Sie der Ansicht sind, daß alles egal ist, dürfen Sie nie vergessen, daß es sich auch dabei um eine Schlußfolgerung handelt, der andere Menschen, die ebenso hart und lange nachgedacht haben wie Sie, nicht zustimmen. Sie können der Isolation einer nicht von anderen geteilten Überzeugung nicht entkommen, schon gar nicht mit Hilfe des Skeptizismus oder des Nihilismus.
    Außerdem sollten Sie bedenken, daß Sie zahlreiche Ansichten darüber, wie man leben sollte, tatsächlich vertreten. Wenn auch Sie das im sechsten Kapitel umrissene Projekt der Verantwortung verfolgen, werden Sie vermutlich zumindest zu einer begrenzten Menge miteinander zusammenhängender Meinungen gelangen, denen in Ihren Augen eine spürbare Authentizi
706 tät zukommt. Welche Art der Zurückhaltung und des Zweifels ist angesichts dessen immer noch sinnvoll? Warum sollten Sie nicht einfach glauben, was Sie glauben? Was Sie wirklich glauben ? Daß unsere tatsächlichen Ansichten besser psychodynamisch, kulturgeschichtlich oder über eine Genanalyse erklärt
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