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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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durchzusetzen. Im Fall des Fugitive Slave Act sprechen die strukturierenden Prinzipien der Fairneß, die juridische von anderen politischen Rechten unterscheiden, für eine Durchsetzung: Sie stützen die Forderungen der Sklavenhalter. Im Fall des Gesundheitssystems sind es ebendiese Prinzipien, zu denen auch Prinzipien über die beste Verteilung politischer Macht in einem zwangsbewehrten Staat gehören, die ein Argument gegen die Durchsetzung darstellen.
    699 Moral und Verfahren
    Die Zwei-Systeme-Sichtweise hat zu einer wichtigen Unterscheidung zwischen Verfahren und Substanz geführt, also zwischen den Verfahren, die zur Festlegung des Rechts eingesetzt werden, und dem Inhalt jenes Rechts. Bisher ging es in den schon so lange geführten Debatten über Recht und Moral meist um substantielle Fragen. Handelt es sich bei einem unmoralischen Gesetz wirklich um ein Gesetz? Spielt Gerechtigkeit bei der Entscheidung, welche der von Bernie Madoff betrogenen Menschen die US -Börsenaufsichtsbehörde wegen Verletzung der Aufsichtspflicht verklagen können, eine Rolle? Verfahrensfragen wurden hingegen größtenteils vernachlässigt, denn den meisten Rechtswissenschaftlern erschien es offensichtlich, daß die Methoden der Rechtssetzung eine Frage lokaler Konventionen sind und die genaue Beschaffenheit jener Methoden durch ebendiese Konventionen festgelegt wird.
15 Tatsächlich scheint diese Annahme zentral für die Zwei-Systeme-Sichtweise zu sein, da es ihren Vertretern schwerfallen würde, einen Positivismus zu verteidigen, wenn die Richter sich in wichtigen verfassungsrechtlichen Verfahrensfragen uneins wären. Wenn wir jene Sichtweise aber zurückweisen und das Recht als identifizierbaren Teil der politischen Moral verstehen wollen, müssen wir die besonderen strukturierenden Prinzipien, die das Recht vom Rest der politischen Moral unterscheiden, selbst als politische Prinzipien behandeln, die einer moralischen Interpretation bedürfen.
    Als ich vor über 50 Jahren in Großbritannien Rechtswissenschaften studierte, wurde mir beigebracht, daß die Legislative – also das Parlament – dort anders als in den Vereinigten Staaten die höchste Instanz darstellt. Man sah dies als paradigmatisches Beispiel für etwas, das aufgrund bestimmter nicht anfechtbarer Gesetze einfach der Fall war. Es verstand sich einfach von selbst. Das war aber nicht immer so: Im 17. Jahrhundert vertrat Lord Coke zum Beispiel eine andere Ansicht,
16 und
700 auch heute kann es nicht einfach als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Viele Juristen und zumindest einige Richter halten die Macht des Parlaments tatsächlich sehr wohl für begrenzt. Als die Regierung kürzlich die Idee eines Gesetzes ins Spiel brachte, das den Gerichten die Jurisdiktion über inhaftierte Terrorverdächtige nehmen würde, antworteten Juristen, daß ein solches Gesetz keine Geltung hätte.
17 Was hat sich also historisch erst einmal und dann ein weiteres Mal geändert?
    Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Einst, zum Beispiel zu Cokes Zeiten, war die Vorstellung, daß Individuen Rechte besitzen, die das Gemeinwohl übertrumpfen – also natürliche Rechte –, sehr weit verbreitet. Im 19. Jahrhundert setzte sich eine andere politische Moral durch. Jeremy Bentham erklärte natürliche Rechte zu Unsinn auf Stelzen, und Juristen, die ihm darin zustimmten, schufen die Idee der absoluten Souveränität des Parlaments. Nun hat sich das Rad weitergedreht: Der Utilitarismus wurde wieder von der Anerkennung der nun »Menschenrechte« genannten individuellen Rechte abgelöst, und die parlamentarische Souveränität gilt nicht länger als Inbegriff der Gerechtigkeit. Der Status des Parlaments als gesetzgebender Instanz, eine der grundlegenden Fragen des Rechts, wird im Bereich der politischen Moral wieder intensiv debattiert. Das Recht ist in Wirklichkeit mit der Moral verzahnt: Juristen und Richter sind die praktizierenden Politischen Philosophen des demokratischen Staates.
    In den Vereinigten Staaten wird im Rahmen verfassungsrechtlicher Debatten darüber diskutiert, ob die sehr abstrakten substantiellen Bestimmungen der Verfassung – etwa jene, welche das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Religionsausübung, das Verbot grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung, gleichen Rechtsschutz und das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren garantieren – als moralische Prinzipien verstanden werden sollten.
18 Die Interpretation der konkreteren Bestimmungen der
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