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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel
Autoren: Ronald Dworkin
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Situationen in der Vergangenheit ausgeübt haben? Welche Situationen zählen als vergleichbar? Was, wenn Sie Ihre Meinung zur Wichtigkeit von Versprechen geändert haben? Vielleicht waren Sie früher der Ansicht, daß Versprechen eigentlich immer gehalten werden sollten, und neigen nun zu einer flexibleren Sichtweise. In welchem Maße verpflichten Ihre bisherigen Entscheidungen Sie dazu, mit neuen Forderungen auf die gleiche Weise umzugehen? Ist es wichtig, ob Sie Ihre Kinder vor dem Eintreten jener Ereignisse, die zu dem aktuellen Streit geführt haben, über Ihren Gesinnungs
690 wandel in Kenntnis gesetzt haben? Oder können Sie in neuen Auseinandersetzungen einfach so entscheiden, wie Sie es in dem Moment für richtig halten? Müssen Sie beim Nachdenken über diese Fragen versuchen, zukünftige Auseinandersetzungen, zu denen es unweigerlich kommen wird, zu antizipieren? Müssen Sie Ihre jetzigen Argumente anpassen oder vereinfachen, damit Ihre Entscheidungen Ihrer Familie eine angemessene Orientierung ermöglichen, so daß sie Ihre zukünftigen Entscheidungen antizipieren kann?
    Dieses Beispiel eines familiären Konflikts illustriert, wie sich die Unterscheidung zwischen dem Recht, wie es ist, und dem Recht, wie es sein sollte, auf komplexe Weise innerhalb der Moral selbst herausbilden kann. Während Sie als Elternteil zu einer Entscheidung kommen, entwickeln Sie eine bestimmte institutionelle Moral, die den Gebrauch zwangsbewehrter Autorität in Ihrer Familie regelt. Diese Moral ist dynamisch und verändert sich mit der Verkündung und Durchsetzung von Urteilen in konkreten Situationen. Zu einem gewissen Zeitpunkt treten zwei Fragen deutlich auseinander: Welchen Bedingungen unterliegt der Gebrauch zwangsbewehrter Autorität in der Familie aktuell angesichts ihrer konkreten Geschichte? Und: Welche Bedingungen hätte eine bessere Familiengeschichte, die bessere Antworten auf Fragen der oben angeführten Art widerspiegelt, hervorgebracht? Es ist von entscheidender Bedeutung, daß diese unterschiedlichen Fragen beide moralisch sind und dennoch zweifellos unterschiedliche Antworten erfordern. Zu denken, daß eine bestimmte Familiengeschichte ein spezifisches nichtmoralisches Set von Normen hervorbringt, vergleichbar mit traditionellen Kleidungsvorschriften, und daß diese dann in der Familie eine ebenfalls nichtmoralische Art von Autorität haben, wäre ein Fehler.
    Der Fehler bestünde darin, nicht zu erkennen, daß es sich bei den Gründen, die Sie und andere Mitglieder der Familie haben, sich an diese Geschichte zu halten, um moralische Gründe handelt. Diese hängen mit Prinzipien der Fairneß zusam
691 men, die Bedingungen der Zwangsausübung darstellen – etwa Prinzipien des Fairplay, der klaren Ankündigung und der gerechten Verteilung von Autorität – und der konkreten Geschichte Ihrer Familie moralische Relevanz verleihen. Wir können hier von strukturierenden Prinzipien sprechen, weil sie die Grundlage der besonderen Moral Ihrer Familie bilden. Wenn Sie nun eine Entscheidung treffen, die im Widerspruch zu diesen strukturierenden Prinzipien steht – indem Sie T zum Beispiel eine Regel auferlegen, die Sie bei anderer Gelegenheit nicht zu Ts Gunsten angewendet hatten –, dann wäre Ihre Entscheidung nicht einfach nur überraschend, wie etwa die Entscheidung, zu einem Picknick im Anzug mit Krawatte zu erscheinen, sondern unfair. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn keine neue und bessere Interpretation dieser Prinzipien zeigt, warum dem nicht so ist. Und natürlich handelt es sich bei jeder neuen Interpretation dieser Prinzipien, wie bei jeder Auslegung einer sozialen Geschichte, um ein moralisches Unterfangen, bei dem auf moralische Überzeugungen Bezug genommen wird. Diese Tatsachen heben die Unterscheidung zwischen der Familienmoral, wie sie ist, und der Familienmoral, wie sie sein sollte, offensichtlich nicht auf. Die beste Interpretation der strukturierenden Prinzipien kann es dabei sehr wohl verlangen, daß eine inzwischen bereute Entscheidung dennoch als Präzedenzfall betrachtet und befolgt wird. Indem wir jene Prinzipien immer neu interpretieren, können wir die Lücke zwischen der Familienmoral und der allgemeineren Moral zwar verringern, nicht aber zum Verschwinden bringen. Es kann sehr wohl sein, daß Sie sich dazu verpflichtet fühlen, eine Entscheidung zu treffen, die Sie gerne vermieden hätten.
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    692 Welchen Unterschied macht es?
    Theorie
    Wenn Juristen und Laien sich anstelle der
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