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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen
Autoren: E Tova Bailey
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als begäbe ich mich in dieses frühe Zeitalter zurück. Aus meiner liegenden Position betrachtet, erschienen mir die Farne und Moose wie winzige Wälder und Felder, und wenn ich zusah, wie die Schnecke ihrem Leben nachging, kam es mir vor, als lebte sie in einer zeitlosen Welt ohne Veränderung. Wenn ich «Schnecke» sagte, erfreute ich mich jedes Mal am Klang dieses Wortes, das so schlicht und unauffällig ist wie das Tier selbst. Und so entschied ich mich, meiner Gefährtin doch keinen Namen zu geben, sondern sie weiterhin einfach als «die Schnecke» zu bezeichnen.
     
    Angesichts ihrer geringen Größe bot sich der Schnecke im Terrarium ein riesiges Terrain mit unzähligen interessanten Ecken und Winkeln, die sie in aller Gründlichkeit erkunden konnte. Ich hingegen bewegte mich nur sehr selten aus der vertrauten Umgebung meines Bettzeugs hinaus. Ab und zu, wenn die Schnecke schlief und mich ein unwiderstehliches Bedürfnis nach Veränderung – egal zu welchem Preis – überkam, rollte ich mich langsam von der rechten auf die linke Seite. Dieser simple Akt führte zu heftigstem Herzklopfen, doch die Belohnung war ein völlig neuer Ausblick. Die andere Seite des Zimmers erstreckte sich vor mir wie eine Landkarte, die zahllose potentielle, aber ferne Abenteuer aufzeigte, darunter – am verlockendsten – ein Fenster und eine Tür.
    Natürlich war nichts davon in Reichweite. Ich konnte in eine Ecke des Badezimmers spähen, in dem, wie ich wusste, aber nicht sehen konnte, eine Löwenfußbadewanne stand. Allein der Gedanke an ein Bad, eines, das man als ganz normale, entspannende Gewohnheit nimmt, löste eine unendliche Sehnsucht in mir aus. Auf der anderen Seite des Zimmers stand ein Regal mit vielen Büchern, jeder Buchrücken in einer anderen Farbe, die Titel womöglich interessant, hätte ich sie denn entziffern können, doch sie waren zu weit weg. Es gab ein Fenster, aus dem ich hätte schauen können, wäre es mir möglich gewesen aufzustehen. Und dann war da die Tür, die Tür zur Außenwelt.
    War das wirklich eine Tür, die ich eines Tages öffnen und aus der ich hinaustreten würde, als wäre es völlig normal, in die Welt hinauszugehen? Ich betrachtete die Tür, bis sie mich an all die Orte zu erinnern begann, an die ich nicht gelangen konnte. Dann, leer und erschöpft von meinem kühnen Abenteuer, rollte ich mich langsam wieder auf die andere Seite, zurück zu dem kleinen Reich des Terrariums und dem winzigen Leben, das es barg.

 
    DRITTER TEIL
     
    Vergleiche
     
    Die Geschichte der… Schnecke ist umfänglicher
    erörtert worden als die des Elephanten, und ihre Anatomie
    ist uns so gut, wenn nicht besser, bekannt als die seyne;
    um jedoch nicht einem einzelnen Gegenstande
    mehr Raum im Gesamtbilde der Natur zu geben,
    als ihm zusteht, möge es hier genügen anzumercken,
    dass die Schnecke für das Leben, das zu führen ihr
    bestimmt, erstaunlich gut gerüstet ist.
    Oliver Goldsmith, A History of the Earth and Animated Nature [Historie von der Erde und der belebten Natur] , 1774

  7 . Tausende Zähne
     
    Das Maul der Schnecke ist mit einem furchterregenden
Instrument in Gestalt einer bemerkenswerten,
schwertartigen Zunge bestückt… (mit einer) riesigen
enge äußerst scharfer kleiner Zähne…
Die schiere Anzahl dieser Zähne ist unglaublich.
    Dietetic and Hygienic Gazette [Zeitschrift für Diät und Hygiene] , 1900
     
    Ich dachte damals, die Neigung meiner Schnecke, beim Fressen sanft mit dem Kopf zu nicken, sei einfach eine persönliche Eigenart, aber es steckte mehr dahinter. Jahre später informierte ich mich grundlegender über das Leben der Landschnecken. Ich bestellte per Fernleihe das zwölfbändige Werk The Mollusca [Die Mollusken] , das den gesamten Stamm der Mollusken – der wirbellosen Tiere – abdeckte, vom Oktopus mit seiner fast menschlichen Intelligenz bis hin zur winzigen Schnecke.
    Die wissenschaftliche Bezeichnung für die Schnecke – eine Molluske mit einem einzelnen muskulösen Kriechfuß – ist «Gastropode», was vom Lateinischen und Griechischen abgeleitet ist und «Magen-Fuß» bedeutet. Der Dichter Billy Collins beendet sein wunderbar schrulliges Gedicht Ausweichmanöver mit folgenden Zeilen:
     
    und dabei lauthals das Wort Gastropode sprach –und weil ich keine Ahnung hatte, was es bedeutete,nach unten ging und es nachschlug, um michdann im Wald zu verstecken vor meiner Frau und unserem Hund.
     
    Wenn Collins schon der Begriff «Gastropode» verblüffte,
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