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Gerade noch ein Patt

Gerade noch ein Patt

Titel: Gerade noch ein Patt
Autoren: Robert N. Charrette
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wenig lange daran, Mr. Walker?« fragte Russ.
    Jeder andere hätte »spät daran« gesagt, aber die merkwürdige Formulierung war kein Fehler. Nicht bei Russ. Andy hatte schon lange den Verdacht, daß Russ wußte, was hinter Andys Tendenz zu Verspätungen steckte, aber darüber redeten sie nicht. Also sagte Andy: »Ich war ein wenig in Gedanken. Ich gehe heute abend später, wenn das ein Problem ist.«
    Die Computerkapazitäten, die Andy auf seinen Runs benutzte, gehörten strenggenommen nicht ihm. Falls er und Russ unverhohlen über Andys virtuelle Freizeitbeschäftigung geredet hätten, wäre Russ verpflichtet gewesen, nach Einzelheiten in bezug auf Zugang und Zuweisung zu fragen, und Andy hätte sich verpflichtet gefühlt, sie ihm zu nennen. Was Russ eine weitere, ganz andere Verpflichtung auferlegt hätte - diejenige nämlich, Andy wegen Diebstahls von Computerkapazität des Telestrian-Konzerns zu melden. Keiner von ihnen wollte das, also redeten sie nie über Andys Abenteuer.
    Russ' implizite Duldung von Andys regelwidrigen Aktivitäten war nur eines der Dinge, die Andy an Russ gefielen. Russ war zwar offiziell Andys Boß, aber er war mehr wie ein Freund. Russ war nicht so spießig wie die anderen Manager bei Telestrian. Er war in Ordnung, überhaupt nicht der typische Konzern-Exec. In vielerlei Hinsicht war Russ für Andy der Vater, den er nie gehabt hatte.
    Andys biologischer Vater war Matthew »Cruncher« Walker. Cruncher hatte für die Sicherheit von Telestrian East, Cyberdynes Muttergesellschaft, gearbeitet, aber er war kein einfacher Nullachtfünfzehn-Wächter gewesen. Telestrian hatte nicht die Vorurteile von Crunchers vorherigem Arbeitgeber, der scheinheiligen und heuchlerischen UCAS-Regierung, an den Tag gelegt. Die Tatsache, daß Matthew Walker ein Ork war, stellte für Telestrian kein Problem dar. Die großen Bosse wußten, daß unterm Strich nur die Leistung zählte, und sie belohnten jeden, der sie brachte, welchem Metatyp er auch angehörte. Cruncher war Sicherheitsleiter einer ganzen Niederlassung gewesen und hatte unzählige Belobigungen und Sonderprämien bekommen. Er war auf dem Weg nach ganz oben in der Hierarchie der Telestrian-Sicherheit gewesen, und man hatte Cruncher schon bei der Ausübimg seiner Pflichten töten müssen, um ihn aufzuhalten.
    Bedauerlicherweise hatte Andy nicht sonderlich viele Erinnerungen an seinen Vater. Andy war drei gewesen, als Cruncher bei der Schießerei ums Leben gekommen war. Er wußte, wie Cruncher ausgesehen hatte, und er erinnerte sich an den starken Griff der schwieligen Hände seines Vaters und an die Heftigkeit seiner Umarmungen. Es gab auch noch andere Erinnerungen, aber die waren eher vage und weniger angenehm, so daß er sich nicht besonders viel Mühe gab, sie sich ins Gedächtnis zu rufen. Doch alles in allem kannte er seinen Vater als Person nicht, und alle Bilder und Aufzeichnungen, die Andys Mutter aufbewahrt hatte, sogar die Geschichten, die sie ihm erzählt hatte, verrieten ihm nicht annähernd genug über die Person, die Cruncher gewesen war.
    Bei Crunchers Tod waren seine Familienmitglieder zu Konzernpensionären geworden. Telestrian Ost verwaltete den Nachlaß und die nicht imbeträchtlichen Sterbeprämien. Der Konzern sorgte dafür, daß Andy und seine Schwestern eine gute Ausbildung bekamen. Telestrian stellte außerdem Arbeitsplätze für seine Mutter und seine Schwestern zur Verfügung. Seine Mutter Shayla arbeitete gegenwärtig als oberste Empfangsdame in der Abteilung Internes Marketing. Zwei seiner Schwestern waren in der Verwaltung beschäftigt, und die dritte, Asa - die, wie alle wußten, die gescheiteste war betrieb gerade ein Fortgeschrittenen-Studienprogramm/Praktikum für ein hohes Tier in Telestrians Heimatniederlassung in Hr Tairngire.
    Wie die Dinge lagen, war sogar Andy in das Familiengeschäft hineingewachsen. Wenngleich er noch zwei Tage die Woche Seminare besuchte, um sein Hauptstudium abzuschließen, arbeitete er für Telestrian Cyber-dyne als Testfahrer. In jungen Jahren hatte er mit den Teams zusammengearbeitet, die Unterhaltungssimulatoren entwickelten. Seine jetzige Arbeit war ihm durchaus vertraut, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, daß er schon als Kind Spiele für den Konzern getestet hatte, noch bevor Telestrian seine Datenbuchse finanzierte. Dieser Tage hatte er mehr mit echter Entwicklungsarbeit zu tun, und das war aufregend. Es war ein gutes Gefühl, einen Beitrag zur Konzernfamilie zu leisten, der
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